100 Jahre NÖ 2011 Fünflinge Auersthal
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„100 Jahre NÖ“

„Ein Wunder“: Fünf Kinder auf einen Streich

2011 bekommt eine Familie aus Auersthal (Bezirk Gänserndorf) Fünflinge. Die Ärzte am Wiener AKH sprachen von einer medizinischen Sensation. Ein Team von 40 Ärzten brachte die fünf Mädchen zur Welt – und das Wichtigste: Alle waren wohlauf.

„Ich bin der glücklichste Mensch auf der ganzen Welt, sieben Frauen um mich herum, was will man mehr“, erzählt der stolze Vater – mit einem breiten Lachen im Gesicht – wenige Stunden nach der Geburt am 18. März 2011. Und: Alle fünf Mädchen – Beyza, Fatma, Saliha, Feyza und Meryem – sind wohlauf.

Auch für das AKH Wien war es damals eine Premiere, aber zugleich eine Herausforderung: Generalstabsmäßig wurde alles für den Großeingriff geplant. Ein Team aus 40 Ärztinnen und Ärzten, Pflegepersonal und Spezialisten war bei der Geburt dabei, die ursprünglich erst ein bis zwei Wochen später geplant war.

Elf Wochen zu früh

Doch weil es der Mutter abrupt schlechter ging, entschloss sich das Ärzte-Team zum sofortigen Kaiserschnitt – in der 29. Schwangerschaftswoche, also elf Wochen zu früh. Aber viel länger hätte der Körper der 26-jährigen Mutter der Belastung nicht standhalten können, schilderte der behandelnde Arzt, Martin Langer: „Das zeigt auch, welche hohe körperliche Belastung eine Mehrlingsschwangerschaft für den mütterlichen Organismus ist.“

APA3795179-2 – 19032011 – WIEN – …STERREICH: ZU APA-TEXT CI – Mutter und Kinder sind wohlauf – das ist wohl die wichtigste Nachricht rund um eine kleine medizinische Sensation am Wiener AKH: Am Freitag brachte eine 26-JŠhrige KinderpŠdagogin aus dem Bezirk GŠnserndorf FŸnflinge zur Welt. UBZ.: €rzte versorgen das Erstgeborene der FŸnflinge im Wiener AKH. APA-FOTO: AKH-INFORMATIONSZENTRUM
AKH-Informationszentrum
Die Geburt der Fünflinge war auch für die 40 Ärztinnen und Ärzte, das Pflegepersonal und Spezialisten eine Herausforderung

Doch wenige Stunden später war das – in einem emotionalen Ausnahmezustand – alles vergessen. Die sechsjährige Ayse hatte mit einem Schlag fünf Schwestern bekommen. „Den fünf Babys geht es ebenso wie der Mutter außerordentlich gut“, schilderte Peter Husslein, Chef der Frauenklinik am Wiener AKH. Das kleinste Baby war 36 Zentimeter, 40 das größte. Und jedes Kind wog etwa 1.000 Gramm.

Atemprobleme

Nach der Entbindung wurde jedem Baby ein eigenes Team unter Leitung eines Oberarztes zugeteilt. Das selbstständige Atmen fiel ihnen noch schwer, erzählte der leitende Kinderarzt im AKH, Arnold Pollak: „Alle haben ein gewisses Ausmaß an Atemproblemen, sie werden aber mit einer Atemhilfe ohne maschinelle Beatmung betreut.“ Die Fünflinge mussten also nicht künstlich beatmet werden.

Die darauffolgenden zwei Wochen seien „von entscheidender Bedeutung“, ergänzte der Kinderarzt. So müsse erst überprüft werden, ob alle Kinder über die Plazenta ausreichend versorgt wurden und die Durchblutung der Organe und des Gehirns bei allen gegeben sei. Allerdings gab es zwei „positive Dinge“: Zum einen, dass es nur Mädchen waren, „die sind einfach besser dran“. Das Zweite sei, dass die Gewichtsunterschiede nicht so groß waren.

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Die fünf Mädchen wogen nach der Geburt gerade einmal etwa 1.000 Gramm

Die Ärzte sprachen deshalb schon kurz nach der Geburt von einer medizinischen Sensation. Denn seit 1990 gab es in Österreich erst einmal Fünflinge, von denen aber nur drei Mädchen überlebten. Nun konnten zum ersten Mal in Österreich alle überleben. Auch medial wurde die Geburt der Fünflinge zum Großereignis. Die Station war durch Securitys gesichert.

„Schwer geschockt“

Als die 26-jährige Kinderpädagogin 2010 zum zweiten Mal schwanger wurde, dachte das Paar glücklich an ein zweites Kind. Fünf auf einen Streich, „die Nachricht hat uns schwer geschockt“, erinnerte sich der Vater. Die Ärzte hätten vor der Fünflingsschwangerschaft ausdrücklich gewarnt. „Sie empfahlen uns sogar, die Zahl der Embryos zu reduzieren, aber welches der fünf Herzen, die schon zu schlagen begonnen hatten, hätten wir zum Erlöschen bringen sollen?“

Deshalb war für das Paar „von Anfang an klar, dass wir das Ganze bis zum letzten Zeitpunkt durchziehen werden, weil es einfach so gekommen ist. Ich kann als Mensch nicht sagen, lieber Gott, du hast uns falsch verstanden, wir wollten nur ein oder zwei Kinder, wir werden jetzt deine falsche Sache verbessern, das könnten wir nicht akzeptieren.“

AKH Gebäude von außen
APA/Anniev Kosta
Vier Wochen mussten die Fünflinge von den Ärzten im AKW betreut werden

Ein Monat mussten die Mädchen im AKH bleiben, dann wurden sie ins Landesklinikum Mistelbach verlegt. Die Ärzteteams beider Krankenhäuser waren mit dem Gesundheitszustand mehr als zufrieden. „Es ist natürlich eine medizinische Sensation, Fünflinge hier zu haben“, freute sich damals Jutta Falger, leitende Kinderärztin Landesklinikum Mistelbach im Interview mit noe.ORF.at.

„Schlimmste längst überstanden“

Während die fünf Mädchen nach der Geburt gerade einmal ein Kilo auf die Waage brachten, waren es vier Wochen später bereits zwischen zwei und zweieinhalb Kilogramm. „Nach menschlichem Ermessen ist das Schlimmste längst überstanden und es ist nicht zu erwarten, dass noch irgendein Problem auftritt“, ergänzte Kinderarzt Pollak.

Die Babys konnten bereits ohne technische Hilfsmittel Nahrung zu sich nehmen. Und laut den Ärzten zeigten sich bei den fünf Mädchen schon erste charakterliche Unterschiede. „Es ist ein Geschenk Gottes und es sind alle gesund. Man kann nur hoffen, dass alles so bleibt“, sagte der Vater stolz, der sich bei allen beteiligten Ärzten und Ärztinnen sowie den Krankenpflegerinnen und -pflegern bedankte.

Diskussion über Hightech-Medizin

Die Fünflingsschwangerschaft war kein Zufall. Nach der Geburt einer Tochter sechs Jahre zuvor war dem Ehepaar eine weitere erfolgreiche Schwangerschaft versagt geblieben. Die Frau erlitt mehrere Fehlgeburten. Schlussendlich entschied sich das Ehepaar zu einer Hormonstimulation. Der Babyboom der Familie befeuerte deshalb auch Diskussionen über die ethischen Grundsätze der Hightech-Medizin.

ABD0189_20220901 – MAGDEBURG – DEUTSCHLAND: ARCHIV – 17.01.2018, Sachsen-Anhalt, Magdeburg: Ein Monitor zeigt in einem Kinderwunschzentrum eine Intrazytoplasmatische Spermieninjektion (Icsi). Bei der Behandlung wird einer Eizelle ein Spermium injiziert. Im Hintergrund sitzt eine Biologin an dem Mikroskop und steuert den Vorgang. (zu dpa Ç426 Kinderwunschbehandlungen gefšrdert in Sachsen-AnhaltÈ) Foto: Klaus-Dietmar Gabbert/ZB/dpa +++ dpa-Bildfunk +++. – FOTO: APA/ZB/Klaus-Dietmar Gabbert
APA/ZB/Klaus-Dietmar Gabbert
Die Fünflingsschwangerschaft befeuerte auch hitzige Diskussionen über die ethischen Grundsätze der Hightech-Medizin

Denn die moderne Reproduktionsmedizin „produziert“ offenbar immer mehr solcher Fälle, erklärte damals der Chef der Wiener Universitäts-Frauenklinik, Peter Husslein: „Natürlich ist das keine ‚spontan‘ entstandene Fünflings-Schwangerschaft. Das ist ein Versagen der Reproduktionsmedizin.“ Entweder werden im internationalen Vergleich zu viele Embryonen eingesetzt oder eine natürliche Befruchtung bei zu vielen entstandenen Eizellen in Kauf genommen.

Erhöhte Risiken bei Mehrlingsschwangerschaften

Das Problem: Mehrlingsschwangerschaften sind immer mit Frühgeburtlichkeit und einem vermehrten Risiko für Komplikationen verbunden. Die moderne Neonatologie bietet wiederum – mit einem enormen Aufwand an Intensivmedizin inklusive Personaleinsatz – viel bessere Überlebenschancen. Das scheint mittlerweile immer mehr auch die Kapazitäten von so hoch spezialisierten Einrichtungen wie dem Wiener AKH zu sprengen.

Experten in Österreich plädierten daher dafür, bei IVF-Behandlungen die Zahl der implantierten Embryonen zu begrenzen. Ähnlich könnte man bei Hormontherapien zur Steigerung der Fertilität der Frau verfahren. Die Eltern der Fünflinge wollten aber nicht diskutieren und nicht „Gott spielen“, wie der Vater sagte. Sie wollten nur, dass Gott entscheidet.

24-Stunden-Betreuung

Zuhause angekommen wurde für die frischgebackenen Eltern jeder Tag wie ein 24-Stunden-Dienst auf der Geburtenstation: Mehr als 30 Mal Windeln wechseln, zweieinhalb Packungen Babynahrung, bis zu acht Fläschchen pro Kind und nur noch ein paar Stunden Schlaf: „Eigentlich schreit immer eines der Babys, aber dafür lachen die anderen vier. Und alle sind gesund, das ist das Wichtigste.“

Neun Wochen nach der Geburt durften sie das Spital verlassen. „Ich habe natürlich weniger Schlaf als früher. In der Nacht müssen wir alle drei Stunden aufstehen, aber es geht.“ Das Wichtigste sei, dass die ganze Familie mithilft. Auch die Großeltern würden in der Nacht aufstehen, wenn es nötig ist. „Ich hoffe, dass die Babys ab dem 6. Monat dann durchschlafen – so lange ist das nicht mehr.“

Sendungshinweis

„Radio NÖ am Nachmittag“, 7.11.2022

Als Frühgeburten bekamen die Fünflinge Medikamente und wurden überwacht. Zu den Ärzten würden sie eine enge Beziehung aufbauen, denn bis zum sechsten Lebensjahr wurden sie weiter versorgt, sagt Kinderarzt Pollak, der sowohl von einer „psychisch als auch einer sozioökonomisch gewaltigen Belastung“ spricht. 1.500 Euro gebe die Familie pro Monat für Windeln und Babynahrung aus. „Ich mache Überstunden“, schilderte der Vater gegenüber „Österreich“.

Spezielle Vornamen

Wie man die Namen der Mädchen ausgesucht habe? Jeder in der Familie habe Vorschläge gemacht, dann wurde abgestimmt. Alle Mädchen haben denselben zweiten Vornamen: „Nur“ – das heißt so viel wie „Heiliges Licht“. Jeder Vorname hat auch eine besondere Bedeutung – von Feyza („Sehr sauber“) bis Meryem („Heilige Mutter Maria“). „Oft sagen wir nur Nummer 1 oder Nummer 3, das ist einfacher.“

Der Vater dachte damals bereits an die Zukunft: „Ich wünsche mir eine richtige gute Ausbildung für die Kinder und viel Gesundheit. Wir lassen uns überraschen, was auf uns zukommen wird.“ Übrigens: Die Großeltern würden sich durchaus noch Enkelkinder wünschen. „Aber jetzt ist es einmal genug.“