APA14681668-2 – 17092013 – MELK – …STERREICH: ZU APA 184 CI – Das Fahrzeug der Cobra Beamten mit den Einschusslšchern am Dienstag, 17. September 2013,Ein Wilderer hat in der Nacht auf heute, Dienstag, 17. September 2013 bei seiner Flucht vor der Exekutive in Annaberg (Bezirk Lilienfeld) in Niederšsterreich auf EinsatzkrŠfte geschossen und dabei, und im Zuge der anschliessenden Geiselnahme, 4 Menschen getštet. .+++ WIR WEISEN AUSDR†CKLICH DARAUF HIN, DASS EINE VERWENDUNG DES BILDES AUS MEDIEN- UND/ODER URHEBERRECHTLICHEN GR†NDEN AUSSCHLIESSLICH IM ZUSAMMENHANG MIT DEM ANGEF†HRTEN ZWECK ERFOLGEN DARF – VOLLST€NDIGE COPYRIGHTNENNUNG VERPFLICHTEND +++ APA-FOTO: BMI
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„100 Jahre NÖ“

2013: Wilderer erschießt vier Menschen

Der 17. September 2013 gilt als einer der dunkelsten Tage der Polizei in Niederösterreich. Ein Wilderer erschoss bei Annaberg drei Polizisten und einen Rettungssanitäter. Die Polizei hatte den Unbekannten zwar im Visier, doch mit dessen „Kaltblütigkeit“ rechnete niemand.

Es war ein dunkler Geländewagen mit gestohlenen Kennzeichen, der den Beamten in den späten Abendstunden zwischen Annaberg und St. Aegyd am Neuwalde (Bezirk Lilienfeld) auffiel. Vier Polizisten verfolgten das Fahrzeug, das zunächst nur kontrolliert werden sollte. Bei einer Straßensperre hielt der Wagen kurz an, der Lenker gab plötzlich aber Gas und schob mit seinem Auto zwei Streifenwagen auseinander.

„Um die Festnahme zu erzwingen“, erzählt Polizeisprecher Johann Baumschlager, der die Nacht im Einsatzstab in Lilienfeld verbringen sollte, schossen die Beamten kurz vor Mitternacht auf das Auto. „Das Fahrzeug wurde auch getroffen, aber es war nicht fahrunfähig.“ Der Unbekannte flüchtete. Daraufhin wurde in Niederösterreich sowie im angrenzenden Gebiet in der Steiermark eine Alarmfahndung ausgelöst.

Dutzende Fälle von Wilderei

Bei dem Mann handelte es sich um einen gesuchten Wilderer. Nach jahrelangen, sehr intensiven Ermittlungen hatte die Polizei ihn offenbar endlich erwischt. Die erste derartige Tat wurde 2008 im Gesäuse in der Steiermark registriert, später dürfte der Täter in den Bezirk Lilienfeld gewechselt haben. Die Hirsche wurden jeweils erlegt und ihre Häupter mit äußerst scharfen Klingen abgetrennt, der Torso wurde dann einfach liegengelassen.

2011: Die Suche nach dem Wilderer

Die Vorgangsweise war laut der örtlichen Jägerschaft fast immer identisch. Die Tiere dürften von einem Auto aus in Straßennähe erlegt worden sein. Im Bezirk Lilienfeld sowie in benachbarten Revieren wurden innerhalb von zehn Jahren bis zu 20 Hirsche illegal erlegt. Der Schaden pro Hirsch: bis zu 10.000 Euro. Deswegen stieg mit der Zeit auch der Druck aus der Jägerschaft, erinnert sich Baumschlager.

Die Soko „Hirsch“

Zur Aufklärung der Taten wurde schließlich beim Landeskriminalamt eine Sonderkommission eingerichtet. „Weil ein Wilderer, der mit absolut tödlichen Waffen hantiert, generell eine gefährliche Person darstellt“, erklärt Baumschlager. Deshalb wurde bereits in den Jahren zuvor im Herbst – zur Hirschbrunft – ein dichtes Überwachungsnetz aufgezogen und die Spezialeinheit Cobra eingebunden.

ARCHIV – Ein Damhirsch ršhrt im Wild und Wanderpark im pfŠlzischen Silz (Archivfoto vom 19.10.2009). In Niedersachsen wurden im vergangenen Jagdjahr so viele Damhirsche erlegt wie nie zuvor. Insgesamt betrŠgt die sogenannte Strecke 2008 nach Angaben der LandesjŠgerschaft rund11 100 Tiere. Dies sind knapp zehn Prozent mehr als im bisherigen Rekordjahr 2007 und doppelt so viele Tiere wie vor zwei Jahrzehnten. Foto: Ronald Wittek dpa/lni +++(c) dpa – Bildfunk+++
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Der Wilderer hatte es vor allem auf Hirsche abgesehen, ihre Häupter wurden mit scharfen Klingen abgetrennt

Doch zunächst konnte der Wilderer immer wieder entkommen. Nicht zuletzt, weil er nur dort zugeschlagen hatte, wo kein Handyempfang war – er somit nicht geortet werden konnte – und wo er mindestens in zwei Richtungen einen Fluchtweg hatte. Allerdings wusste die Polizei, dass der Täter mit gestohlenen Kennzeichen unterwegs war. Deshalb war am 16. September auch der dunkle Geländewagen verdächtig.

Wilde Verfolgungsjagd mit Schüssen

Nachdem der Lenker die Straßensperren durchbrochen hatte, begann eine wilde Verfolgungsjagd bis in den Ort Annaberg hinein, wo der Einsatz eskalierte. Zunächst kam das Auto von der Straße ab und prallte gegen einen Zaun. Die Beamten rechneten damit, „dass der Mann weiter versucht zu flüchten, hat er aber nicht“, sagt Baumschlager. Stattdessen versteckte er sich bei einer Garageneinfahrt und schoss auf die Polizisten.

Ein 38-jähriger Cobra-Beamter wurde dabei getroffen und schwer verletzt. Wegen des großen Blutverlusts wollte ihn die Rettung ins Spital bringen. Doch auf der Zufahrt nahm der Schütze den Rettungswagen ins Visier und erschoss den Fahrer, einen 70-jährigen Rettungssanitäter, mit einem gezielten Schuss durch die Windschutzscheibe. Auf Grund der Gefahr konnten keine weiteren Sanitäter vorrücken, wenig später starb auch der Polizist.

APA14678314 – 17092013 – WIEN – …STERREICH: Ein Fahrzeug der Polizei mit zerborstener Heckscheibe wird aus jenem Gebiet nahe Annaberg abtransportiert, in dem am Dienstag, 17. September 2013, ein Wilderer auf Exekutivbeamte geschossen hatte. APA-FOTO: ROLAND SCHLAGER
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Ein Fahrzeug der Polizei, auf das der Wilderer in der Nacht geschossen hatte

Der Wilderer, der sich rund um Annaberg offenbar gut auskannte, setzte seine Flucht zu Fuß fort. Baumschlager erinnert sich an eine große Anspannung unter den Kolleginnen und Kollegen: „Es war dunkel, es war schlechtes Wetter und wir wussten alle nicht, wo der Wilderer das nächste Mal zuschlagen würde.“

„Kaltblütig hingerichtet“

Etwa eine Stunde streifte Alois H. durch den Wald, ehe er einige Kilometer weiter – an einer Kreuzung bei Lassinghof – auf zwei Polizisten traf, die im Auto saßen. Doch statt ihnen im Dunkeln auszuweichen, begann er erneut zu schießen. „Er hat die beiden kaltblütig hingerichtet“, schildert Baumschlager, „er hat offenbar die Konfrontation gesucht.“

Die Kollegen im Einsatzstab mussten die Szenen am Funk mithören. „Das war für uns wirklich schrecklich“, erinnert sich der Polizeisprecher, „weil jemand schwer verletzt war beziehungsweise sogar ein Sanitäter, der besonderen Schutz genießt, erschossen wurde und du bist dort machtlos, du willst helfen, kannst aber nicht.“ Viele Beteiligte hätten es anfangs gar nicht wahrhaben wollen.

Offene Fragen nach dem tragischen Einsatz

Abgesehen hatte es der Wilderer offenbar auf den Streifenwagen. Denn wie Profiler später analysierten, wollte er so schnell wie möglich nach Hause – in einen Raum, wo er sich sicher fühlte, sagt Baumschlager: „Dazu waren ihm alle Mittel Recht.“ Deshalb sei es auch nötig gewesen, den Täter weiter zu verfolgen bzw. zu stellen, bevor noch weitere Menschen verletzt oder getötet worden wären.

Lange unklar, ob Polizist noch lebt

Einen der getöteten Polizisten, den 51-jährigen Lenker, hatte der Wilderer zuvor aus dem Streifenwagen geworfen. Mit der Leiche des zweiten Beamten (44) fuhr er zu seinem Anwesen in Großpriel (Bezirk Melk). Dort verschanzte er sich und schoss erneut auf Einsatzkräfte, die sich dem Haus nähern wollten. Das Cobra-Fahrzeug war „zum Glück mit Panzerglas“ versehen, „weil auch dieser Schuss genau auf den Lenker gerichtet war“.

APA14709486-2 – 19092013 – GROSSPRIEL – …STERREICH: Jener Mann, der drei Polizisten und einen SanitŠter in Niederšsterreich erschossen haben soll, ist in der Nacht auf Mittwoch von den EinsatzkrŠften tot in einem Geheimversteck aufgefunden worden. Im Bild: Blick auf das GelŠnde auf dem sich der mutma§lich Wilderer verschanzt hatte am Mittwoch, 18. September 2013, in Gro§priel. APA-FOTO: PAUL PLUTSCH
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Nach der Flucht verschanzte sich Alois H. in seinem Haus in Großpriel

Zeitgleich gingen ab den frühen Morgenstunden bei Baumschlager immer mehr Medienanfragen ein. „Wir sind aber dem Opferschutz verpflichtet“, erklärt der Chefinspektor, „das heißt wir geben Informationen erst raus, wenn die Angehörigen informiert sind.“ Doch beim zweiten Beamten aus dem Streifenwagen hatte man „lange Zeit gehofft, dass er als Geisel genommen wurde, deshalb haben wir vorerst keine Infos hinausgegeben. Wir wollten ihn nicht gefährden.“

100 Polizisten umstellen Anwesen

Die Leiche des Polizisten wurde im Laufe des Tages im Fluchtauto gefunden. Daraufhin wurde das Haus von etwa 100 Polizisten großräumig umstellt, während Alois H. immer wieder aus dem Haus schoss. Die Polizei hatte auch Angehörige des Verdächtigen beigezogen, die offenbar erfolglos versucht hatten, ihn auf seinem Handy zu erreichen. Die Versuche, mit dem Mann Kontakt aufzunehmen, blieben aber fruchtlos.

Betroffenheit und Unverständnis bei Nachbarn

Gegen 17.30 Uhr gab es das letzte Lebenszeichen des Täters, als ein einzelner Schuss aus dem Bauernhof abgegeben wurde. Eine Stunde später begann die Cobra mit dem Zugriff. Mit Hilfe eines Panzers des Bundesheeres wurde die Hausmauer im Bereich der Küche durchbrochen, Cobra-Beamte durchsuchten daraufhin Raum für Raum. In einem Geheimraum im Keller, dessen Zugang hinter einem Kasten versteckt war, stießen sie schließlich auf die verbrannte Leiche des Täters. Der Wilderer hatte Feuer gelegt, bevor er sich mit einem Kopfschuss tötete.

Impulsiver Typ

Drei Tage nach den unfassbaren Morden gab die Schwester von Alois H. gegenüber noe.ORF.at ein Interview. Die Frau, die nur wenige hundert Meter vom Haus ihres Bruders entfernt wohnte, sagte damals: "Ich habe mir nicht einmal im Ansatz vorstellen können, dass so etwas passieren könnte.“ Die Frau beschrieb ihren Bruder als impulsiven Typ, der auch jähzornig sein konnte.

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Im Keller von Alois H. wurde ein ganzes Waffenarsenal gefunden

Auf die Frage, ob sie sich das Waffenlager im Keller des Bruders erklären könne, sagte sie: „Ich war nur einmal zufällig im Haus meines Bruders, bei einem Familienfest, und da war ich nur im Wohnzimmer.“ Die Last, einen Mörder als Bruder zu haben, liege jetzt auf ihr. Und: „Es tut mir unheimlich leid für die Familien der Opfer.“

Das Motiv für die Tat ist bis heute ungeklärt. „Vielleicht war es der Neid auf andere Jäger, die solche Trophäen hatten oder es ging ihm darum, Macht zu demonstrieren“, mutmaßt Bauschlager, der selbst Jäger ist. Gerade deshalb sei die Tat für ihn auch „nicht nachvollziehbar“, aber „fragen können wir ihn nicht mehr“.

Das Doppelleben des Alois H.

Die Ermittlungen waren noch nicht beendet. Denn in dem Geheimraum stieß die Polizei auf ein enormes Waffenarsenal, unzählige Jagdtrophäen und andere gestohlene Gegenstände. Fast drei Monate nach der Tat war die Sicherstellung der gestohlenen Gegenstände, u.a. 305 Schusswaffen, Munition, 90 Hirsch- und etwa 500 Reh- sowie 100 weitere Jagdtrophäen, erst abgeschlossen. Doch die Serie an Straftaten reichte viel weiter zurück als erwartet.

Polizei deckt ganze Serie an Straftaten auf

In Summe wurden Alois H. 108 Fälle in mehreren Bundesländern zugerechnet, die er seit 1993 verübt haben soll. Der Schaden wurde mit 9,8 Mio. Euro beziffert – darunter Einbrüche in Museen oder Jagdhäuser, die teilweise auch angezündet wurden, Pkw-Diebstähle sowie eine Attacke auf einen Jäger, auf den der Wilderer eingestochen hatte.

Einsatz „ohne Fehler“

Wegen der vier Todesfälle wurde der Einsatz auch polizeiintern untersucht. Ende Mai 2014 wurde ein Evaluierungsbericht vorgestellt. Der Generaldirektor für die Öffentliche Sicherheit, Konrad Kogler, sagte damals: „Wir haben alles erhoben, was für uns von Interesse war.“ Das Vorgehen sei „lageangepasst“ und „ohne Fehler“ gewesen, hieß es.

Der Fall sei für die Exekutive eine Novität gewesen: „Es bleibt jemand am Tatort und sucht bewusst diese Konfrontation – mehrfach“, schilderte Kogler das Geschehen. Alois H. habe ein „atypisches Verhalten“ an den Tag gelegt. Durch den Suizid des 55-Jährigen seien aber letztlich nicht alle Fragen beantwortbar gewesen. Die Kommission bestand aus Experten des Ministeriums und externen Fachleuten.

Lehren aus dem Drama

Eine Folge des Evaluierungsberichts war die Tragepflicht der Schutzwesten: Anders als zuvor habe man eindeutig festgelegt, „bei gefahrengeneigten Tätigkeiten zumindest die leichte Schutzweste zu tragen“, ergänzte der Leiter des Einsatzkommandos Cobra, Bernhard Treibenreif, damals. Es sei denn wesentliche einsatztaktische Überlegungen sprechen dagegen.

APA14674694-2 – 17092013 – MELK – …STERREICH: ZU APA 184 CI – Polizeibeamte bei einer Stra§ensperre im Zuge einer Geiselnahme in Niederšsterreich am Dienstag, 17. September 2013, bei Melk. Ein Wilderer hat in der Nacht auf heute, Dienstag, bei seiner Flucht vor der Exekutive in Annaberg (Bezirk Lilienfeld) in Niederšsterreich auf die EinsatzkrŠfte geschossen und offenbar einen Polizisten als Geisel genommen. APA-FOTO: ROBERT JAEGER
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Eine Folge des Evaluierungsberichts war die Änderung bei den Schutzwesten

Ein weiterer Punkt der Empfehlungen aus dem Evaluierungsbericht sollte in Kooperation mit dem Bundesheer umgesetzt werden. Dabei ging es um die Verfügbarkeit gepanzerter Fahrzeuge. Kogler wollte auch, dass in Zukunft bei bestimmten Einsatzlagen immer ausgebildete Rettungssanitäter dabei sind.

Das Einsatzszenario war laut Kogler aber darauf festgelegt, dass man den Täter in einer günstigen Situation festnimmt. „Wir haben von vornherein ausgeschlossen, den Täter in den Wald zu verfolgen. Dafür war der Kräfteeinsatz ausgelegt. Wir waren in einer Region, wo ganz wenig Verkehr und wo viel Wald ist.“ Wenn man mit dem Wissen von heute den Fall beurteilen würde, dann würde man wohl das eine oder andere anders machen, so Kogler.

Sendungshinweis

„Radio NÖ am Nachmittag“, 18.11.2022

Kritik an der Ausrüstung und Ausbildung der Einsatzkräfte wies Kogler zurück, ebenso die Meinung eines Gutachters, dass die von der Polizei verwendete Munition als nicht mehr „zeitgemäß“ galt. Die Polizei habe den Wilderer trotz der Abgabe Dutzender Schüsse nicht stoppen können. „Wir haben daraus gelernt, dass keine Amtshandlung zu Routine werden darf, auch wenn sie noch so unspektakulär scheint“, sagt Baumschlager neun Jahre danach.

Psychologische Stütze

Noch in der Tatnacht – also während der Einsatz lief – wurde begonnen, das Erlebte mit Hilfe des Peer-Supports aufzuarbeiten, sagt Baumschlager. Er verlor damals einen guten Freund: „Das war ganz wichtig, dass man darüber spricht und das nicht in sich hineinfrisst.“ Manche Kollegen hätten im ersten Moment „alles hinschmeißen wollen und gesagt, sie hören mit dem Beruf auf“.

Letzte Ehre für die vier Opfer des Wilderers

Es sei gelungen, dass die Beamten in ihrem Beruf blieben. Manche wurden in andere Bereiche versetzt, „um nicht mehr in solche Situation kommen zu können“. Doch trotz aller Hilfe gesteht der Polizeisprecher, dass „diese Stacheln, die uns da getroffen haben, in der Kollegenschaft nach wie vor tief sitzen“.

Für die Opfer wurde ein Gedenkstein errichtet. Er erinnert an einen der dunkelsten Tage in der Geschichte der österreichischen Blaulichtorganisationen. Der Gedenkstein an der Kreuzung der B20/B28 sei „eine Stätte, die uns an Menschen erinnert, die sich für uns eingesetzt haben“, hieß es bei der Enthüllung.