Brigitte Bierlein bei einer Rede beim Europa-Forum Wachau
APA/BKA/ANDY WENZEL
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Politik

Kanzlerin mit erstem „Außenpolitik“-Auftritt

Knapp zwei Wochen nach ihrer Angelobung hat Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein am Samstag beim Europa-Forum Wachau auf Stift Göttweig (Bezirk Krems) ihren ersten „außenpolitischen“ Auftritt absolviert. Dabei präsentierte sie sich als überzeugte Europäerin.

Am letzten Tag des dreitägigen Europa-Forums trafen auf Stift Göttweig europäische Spitzenpolitiker zusammen. In den Referaten und Beiträgen zur Diskussion, an der auch EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn, Nordmazedoniens Ministerpräsident Zoran Zaev und der Südtiroler Landeshauptmann Arno Kompatscher teilnahmen, bildeten die Beitrittsverhandlungen der Balkan-Staaten ein zentrales Thema.

Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner sprach Grußworte, in denen sie, wie auch EU-Kommissar Hahn, eine raschere Heranführung der Westbalkan-Staaten an die Europäische Union befürwortete. Es gelte, Länder wie Nordmazedonien und Albanien zu unterstützen. Die Europäische Union müsse diesen Staaten „eine glaubhafte Perspektive bieten“, so Mikl-Leitner. „Europa muss zu seinen Zusagen stehen.“ Für den 21./22. Juni ist ein EU-Gipfeltreffen zu den Beitrittsverhandlungen mit den Balkan-Staaten geplant.

Bierlein: „Österreich bleibt verlässlicher Partner“

Bundeskanzlern Bierlein betonte: „Österreich ist und bleibt ein starker, verlässlicher Partner in Europa und in der Welt.“ Nach der Europa-Wahl stünden der Union schwierige Herausforderungen bevor – die Bildung einer neuen EU-Kommission, der Brexit mit Großbritannien, Entscheidungen zur EU-Erweiterung. „Das vereinte Europa wird diese Fragen beantworten“, ist die Bundeskanzlerin zuversichtlich. Bierlein vermerkte, wie sie mit Begeisterung vor 30 Jahren den Fall des Eisernen Vorhangs erlebte.

Paul Lendvai, Johanna Mikl-Leitner und Brigitte Bierlein
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Publizist und Osteuropa-Experte Paul Lendvai, Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner und Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein (v.l.)

EU-Kommissar Hahn pochte auf die Stärke und das Selbstbewusstsein der EU: „Die Union hat immer bewiesen, dass sie aus Herausforderungen gestärkt hervorging.“ Wichtig sei hierbei der Multilateralismus, das bedeute, die gemeinsamen Regeln zu respektieren. Europa sei ein starker wirtschaftlicher Block, allerdings mit zwei Abhängigkeiten – im Energiebereich und in der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik. Hahn lobte die Entwicklung in Nordmazedonien, die beachtlichen ökonomischen Fortschritte ebenso wie die politische Führungsqualität. Eine EU-Mitgliedswerdung sei allerdings ein längerer Prozess.

Nordmazedonien mit emotionalem Bekenntnis zur EU

Ein emotionales Bekenntnis zur EU legte der nordmazedonische Premier ab. „Es gibt keine Alternative zur Vollmitgliedschaft in der EU.“ Seine Landsleute seien „sehr motiviert“, man sei sich aber bewusst, dass es zuerst darum gehe, die Verhandlungen mit Brüssel zu führen. Nordmazedonien habe viel zum Besseren verändert, von Europa viel gelernt, von den Menschenrechten bis zu einer professionellen Verwaltung. „Wir haben unseren Namen (in Nordmazedonien, Anm.) geändert und unsere Identität behalten.“ Zaev verwies auch auf den erzielten Handelsbilanzüberschuss.

Mit Schlussworten des Präsidenten des Europäischen Parlaments, Antonio Tajani, ging das 24. Forum am Samstag zu Ende. Es stand unter dem Motto „Europa fit für die Zukunft machen“. Der Italiener bekannte sich zum Subsidiaritätsprinzip. Für das Bestehen im globalen Wettbewerb forderte er eine starke Strategie Europas sowie „mehr Politik und weniger Bürokratie“. Eine gemeinsame Strategie brauche Europa in der Migrationspolitik ebenso wie in der Handelspolitik. Als prioritäre Aufgabe der EU nannte Tajani den Schutz der europäischen Bürger. Zu Bewahrung der Identität brauche Europa seine Werte und das christliche Erbe. „Seine Identität zu verlieren, wäre ein Fehler.“

Europa für die Zukunft fit machen

Beim Europa-Forum wurde diskutiert, wie man Europa fit für die Zukunft machen kann. Mit Spannung erwartet wurde der erste „außenpolitische“ Auftritt von Kanzlerin Brigitte Bierlein.

Der politische Teil des Forums fand vor dem Hintergrund der jüngsten Europa-Wahlen, der Brexit-Verhandlungen mit Großbritannien und im Vorfeld der Balkan-EU-Beitrittsverhandlungen statt. An den beiden ersten Tagen war es um Bildung, Wirtschaft und Gesundheit gegangen. In einer Technologie- und Gesundheitskonferenz wurde über die Auswirkungen künstlicher Intelligenz im Gesundheitsbereich diskutiert sowie über die Veränderungen in Gesellschaft und Arbeitsmarkt durch neue Technologien. WKÖ-Präsident Harald Mahrer präsentierte die Zukunft Europas unter dem Aspekt der Wirtschaft. Bestsellerautor Marc Elsberg betrachtete die Zukunft Europas aus literarischer Sicht – mehr dazu in Europa-Forum Wachau: Nachdenken über Zukunft (noe.ORF.at; 13.6.2019).

Ein Novum waren die vorgeschalteten „Salon-Gespräche“. Über 1.200 Menschen aus Niederösterreich konnten im Vorfeld des Forums ihre Wünsche und Ideen für ein besseres Europa formulieren. Im Rahmen des EU-Projekts „Erasmus+“ präsentierten mehr als 80 internationale Studenten und Jugendliche aus Europa ihre Europa-Vorstellungen im Rahmen eines Wettbewerbs. Die Bevölkerung wurde also direkt in den politischen Diskurs eingebunden. Das neu konzipierte Forum will sich zu einer Ideenschmiede des geeinten Europa entwickeln, die innovative Lösungen und Herangehensweisen hervorbringt. Arbeitskreise befassten sich am Freitag mit dem Standort Europas im internationalen Wettbewerb, dem Thema Kultur und Identität sowie mit politischer Kommunikation.

Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein beim Europa Forum Wachau
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Für Brigitte Bierlein war es der erste offizielle Auftritt als Bundeskanzlerin in Niederösterreich

„Durch die Salons und das neue Format können wir gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern ein neues Europa gestalten“, freute sich Landeshauptfrau Mikl-Leitner. Der für EU-Angelegenheiten zuständige Landesrat Martin Eichtinger (ÖVP) verwies darauf, dass die EU jährlich rund 450 Mio. Euro an Förderungen für Niederösterreich zahle. Auch die mit 46 Mio. Euro dotierte Lehrlingsoffensive sei erst durch den Europäischen Sozialfonds möglich geworden.

Das Europa-Forum Wachau (EFW) blickt auf eine stolze Bilanz zurück. Seit 1995 „pilgerten“ 32 Außenminister, 26 Regierungschefs, drei EU-Kommissare, ein Staatspräsident und über 10.000 Gäste auf den Göttweiger Berg. Als großen diplomatischen Erfolg verbucht das EFW das Treffen der Premiers von Serbien, Ivica Dačić, und des Kosovo, Hashim Thaçi, deren erster offizieller Handschlag in Göttweig 2013 eine neue Ära einläutete.