Chronik

Expertin fordert „Plan für Reintegration“

Daniela Pisoiu vom Österreichischen Institut für Internationale Politik sieht Verbesserungsbedarf bei der Deradikalisierung und Reintegration von islamistischen Straftätern. „Es braucht einen Plan, wenn sie aus dem Gefängnis kommen“, so Pisoiu.

Daniela Pisoiu beschäftigt sich seit 16 Jahren mit den Themen Terrorismus und Radikalisierung. Der Anschlag Montagabend in Wien, bei dem fünf Personen – unter ihnen der mutmaßliche Attentäter – getötet und 22 Personen verletzt wurden, sei für die Terrororganisation Islamischer Staat (IS) „sehr typisch“ gewesen, so die Wissenschafterin.

„Beim IS handelt es sich um keine hierarchische Organisation, sondern um eine Organisation, die in der Propaganda darauf hingewiesen hat, dass man als Einzeltäter aktiv werden kann. Die Idee ist, die Gesellschaft zu spalten. Man hofft jedes Mal, wenn ein Terroranschlag passiert, dass die Regierung überreagiert, Bevölkerungsgruppen stigmatisiert werden und es so zu dieser Spaltung kommt, in der Hoffnung, dass sich Muslime für ihre Sache begeistern“, sagte Pisoiu im Interview mit noe.ORF.at.

Attentäter wollte sich IS anschließen

Der 20-jährige mutmaßliche Attentäter, der bei einem Schusswechsel mit Polizisten getötet wurde, war schon einmal verurteilt gewesen. Er wollte nach Syrien reisen, um sich dort dem IS anzuschließen. Im Dezember 2019 wurde er vorzeitig aus dem Gefängnis entlassen.

In Österreich gibt es mehr als 90 sogenannte Rückkehrer. „Diese Personen, die in Syrien waren, sind sogar weniger gefährlich als diejenigen, die versucht haben, hinzufahren“, sagte Pisoiu. Jene, die – wie der mutmaßliche Attentäter von Wien – gescheitert sind, seien nämlich nicht mit der Radikalität des IS konfrontiert gewesen, „die Idealvorstellung des IS ist bei ihnen noch immer sehr präsent, im Gegenteil zu denen, die vor Ort waren.“ Darüber hinaus könnten sich die an der Ausreise gescheiterten IS-Sympathisanten auch „unter Druck“ fühlen, meinte die Wissenschafterin.

Kerze am Tatort
APA/HELMUT FOHRINGER
Der 20-Jährige wollte sich dem IS anschließen, war aber an der Ausreise gescheitert. Solche Personen könnten sich „unter Druck gesetzt“ fühlen, meint die Terrorismusexpertin

„Nicht viel Zeit, um Personen zu deradikalisieren“

Der Fall des 20-Jährigen, der verurteilt wurde, eine Weile im Gefängnis verbrachte und vorzeitig entlassen wurde, verdeutlicht laut der Wissenschafterin vom Österreichischen Institut für Internationale Politik ein generelles Problem, das Österreich und auch andere europäische Staaten hätten. „Dadurch, dass die Person nicht sehr viel Zeit im Gefängnis verbringt, hat man nicht viele Möglichkeiten, sie zu deradikalisieren.“

Bei der Frage der Reintegration in die Gesellschaft müsse aber „mehr gemacht“ werden, so Pisoiu. „Der Punkt ist, dass alle Institutionen zusammenarbeiten müssen – Justiz, Polizei, Bewährungshilfe, Schule. Man muss schauen, dass die Person nicht mehr in die salafistischen oder dschihadistischen Kreise zurückkehrt, dass sie eine sinnstiftende Beschäftigung hat. Man muss einen Plan für diese Personen haben, wenn sie aus dem Gefängnis rauskommen“, sagte Pisoiu.

Bekennerschreiben des IS aufgetaucht

Im Internet war am Dienstagabend ein Bekenntnis der Terrormiliz IS aufgetaucht. Ein „Soldat des Kalifats“ habe die Attacke mit Schusswaffen und einem Messer verübt und am Montagabend in der Wiener Innenstadt rund 30 Menschen getötet oder verletzt, darunter auch Polizisten, teilte der IS am Dienstag auf seiner Plattform Nashir News mit. Die Echtheit dieser Meldung wurde vom Innenministerium noch geprüft.

Politisch hinterfragt wurde am Tag nach der Attacke mit vier Toten und 22 Verletzten danach die Tatsache, wie es möglich war, dass ein vorbestrafter Islamist eine solche Attacke verüben konnte. Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) kritisierte den Umstand, dass der wegen terroristischer Vereinigung verurteilte Attentäter vorzeitig aus einer 22-monatigen Haftstrafe bedingt entlassen worden war. Er habe es geschafft, „das Deradikalisierungsprogramm der Justiz zu täuschen“.

Justizministerin Alma Zadic (Grüne) verteidigte die vorzeitige Entlassung. Wie gesetzlich vorgesehen sei der 20-Jährige mit nordmazedonischen Wurzeln am 5. Dezember 2019 nach zwei Dritteln Haft bedingt entlassen worden, unter Auflage regelmäßiger Kontakte zu Neustart und Derad. Solche Auflagen seien nur bei vorzeitiger Entlassung möglich. Und: Das Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung sei informiert worden.