Chronik

CoV: Psychische Probleme nehmen weiter zu

Psychische Symptome für Schlafstörungen, Depression oder Ängste sind in der Pandemie um das Drei- bis Fünffache angestiegen. Eine Entspannung dieser Situation ist nicht in Sicht. Im Gegenteil: Psychische Krankheiten nehmen weiter zu oder verstärken sich.

Ein Einfamilienhaus im Bezirk Bruck an der Leitha. Hier ist eine Frau zuhause, die sich gegenüber noe.ORF.at öffnet, einen Einblick in ihre Krankheit gibt – eine Krankheit, mit der sie seit mehr als fünf Jahren zu kämpfen hat, die sie teilweise schon ganz gut im Griff hatte und die sich durch die Pandemie wieder verschlimmerte. Seit einem traumatischen Erlebnis leidet die Frau unter Panikattacken und Angststörungen, erzählt sie beim Besuch von noe.ORF.at. Zu Beginn der Pandemie sei die Situation für sie eigentlich halb so schlimm gewesen. Durch die anhaltenden Beschränkungen sei aber nach und nach sehr viel wieder hoch gekommen.

„Ich habe angefangen, mich wieder extrem zurückzuziehen. Ich war schon ganz gut mit der Arbeit an mir selbst. Ich hab wieder begonnen, rauszugehen und selbst einzukaufen, wenn auch nur in der unmittelbaren Umgebung“, erzählt die Betroffene. „Ich habe angefangen mich mit einer Freundin zu treffen oder mich in der Gemeinde einzubringen, aber das ist alles wieder weg. Harte Arbeit von fünfeinhalb Jahren ist wieder weg. Je länger es dauert, desto schlimmer wird es.“

Fremdbestimmung und Kommunikation als Problem

„Ob ich mich vor dem Virus fürchte, kann ich eigentlich gar nicht wirklich sagen“, schildert sie weiter. „Was mir Sorgen macht, ist diese Situation, das Fremdbestimmte und das angstmachende Kommunizieren mit den Leuten. Damit habe ich wirklich große Schwierigkeiten.“

Psychische Krankheiten, die in der Pandemie schlimmer werden, oder psychische Probleme, die überhaupt erst auftauchen, sind keine Einzelfälle. Das bestätigen Studien und Expertinnen. „Wir erleben deutlich mehr Anfragen, vor allem in den letzten Wochen“, schildert Maria Werni, Vorsitzende des Landesverbandes für Psychotherapie und Psychotherapeutin in Maria Enzersdorf (Bezirk Mödling). „Im Frühjahr gab es so eine Art Schockstarre. Der erste Lockdown hat die Leute fast in eine Art Freezing versetzt. Da war auch das Coronavirus noch das Bedrohliche. Mittlerweile haben sich die Menschen an das Virus ein bisschen gewöhnt. Sie leiden viel mehr darunter, dass es jetzt solche Folgewirkungen hat – also die Maßnahmen, der Lockdown, der Jobverlust, das Home Office, die geschlossenen Schulen.“

Psychiatrische Klinik mehr als 90 Prozent ausgelastet

Wie massiv die psychische Belastung nach wie vor – oder gerade jetzt – ist, zeigt sich im Landesklinikum Mauer, einem psychiatrischen und neurologischen Zentrum bei Amstetten. „Wir haben eine Auslastung der zur Verfügung stehenden Betten von 94 Prozent. Die Alkohol-Station ist bummvoll mit einer Warteliste wie schon lange nicht mehr, die Drogenstation ist komplett voll und auf der Akutpsychiatrie, die man am wenigsten planen kann, haben wir mit heutigem Tag gerade einmal fünf Betten frei, um in den nächsten Nachtdiensten über die Runden zu kommen“, so Christian Korbel, ärztlicher Direktor des Landesklinikums Mauer gegenüber noe.ORF.at. „Man sieht die ersten Hinweise, dass Frauen stärker betroffen sind als Männer. Wir sehen auch, dass sozial schwache Personen stärker betroffen sind als Gutsituierte.“

Kliniken sowie Therapeutinnen und Therapeuten kommen derzeit an die Kapazitätsgrenzen. „Jetzt ist es so, dass wir stark angefragt werden, die Leute aber kein Geld haben, weil sie teilweise in Kurzarbeit sind oder überhaupt den Job verloren haben. Dann müssen wir sagen, dass wir keine Kassenplätze zur Verfügung haben, denn schon vor der Pandemie hatten wir zu wenige Kassenplätze“, so Psychotherapeutin Maria Werni. „Jede zweite, dritte Woche ruft jemand an, ist sehr verzweifelt und sagt, dass schon drei Kolleginnen kontaktiert wurden und alle sagen, dass sie keinen Platz haben. Wenn man aber jetzt eine Depression, eine Angststörung oder Panik hat, dann kann man nicht warten.“

Experte: Viele Probleme werden sich erst zeigen

Die Psyche unter Dauerbelastung – eine Situation, die sich nicht so schnell entspannen dürfte, wie Christian Korbel vermutet: „Wir wissen, dass psychiatrische Erkrankungen sehr eng mit dem sozialen Umfeld verbunden sind, also Arbeitsplatzverlust, finanziellen Nöte, Isolation. Das führt zu Problemen, die aber nachhängen. Da wird noch eine ganze Welle auf uns zukommen. Ich denke, im nächsten Jahr wird uns das sehr beschäftigen.“

Vor allem die Auswirkungen auf die Psyche von Kindern und Jugendlichen würden sich erst zeigen, meinen sowohl Werni als auch Korbel im Gespräch mit noe.ORF.at. Die Experten raten zu Bewegung an der frischen Luft, mit Freunden oder der Familie zu telefonieren oder via Social Media soziale Kontakte zu pflegen. Das versucht auch die betroffene Frau aus dem Bezirk Bruck an der Leitha mit aller Kraft, um in – und hoffentlich auch bald nach – der Pandemie ein Leben führen zu können, in dem sie ihre Krankheit kontrollieren kann, und nicht mehr umgekehrt.