Angeklagter Anästhesist
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Chronik

Unzuständigkeitsurteil in Causa Babyklinik

Im Prozess um einen tödlichen Eingriff in einer Kinderwunschklinik in Baden hat es am Mittwoch ein überraschendes Urteil gegeben. Der Richter in Wiener Neustadt erklärte sich für unzuständig. Angeklagt ist ein 64-jähriger Arzt, der dafür verantwortlich sein soll, dass eine Frau gestorben ist und zwei verletzt wurden.

„Dass Sie nicht wussten, dass man ein angebrochenes Fläschchen Propofol nicht verwenden darf, kann ich Ihnen nicht glauben“, sagte der Richter zu dem beschuldigten Mediziner am Mittwochnachmittag. Der 64-Jährige soll wegen Körperverletzung mit tödlichem Ausgang nun vor einem Schöffengericht angeklagt werden. Der Richter erklärte sich demnach für unzuständig, weshalb der Prozess wieder bei Null beginnt. Das Unzuständigkeitsurteil gegen den Anästhesisten der Kinderwunschklinik ist allerdings noch nicht rechtskräftig.

Der Vorsitzende sah die Anästhesie als solche nicht gerechtfertigt. „Sie haben wissentlich das Propofol verwendet, obwohl völlig klar war, dass Sie das nicht tun dürfen und in der Hoffnung gehandelt, dass nichts passiert.“ Es erfordere eine umfangreiche Aufklärung der Patienten im Fall der Verwendung von angebrochenem Propofol, die in den drei angeklagten Fällen nicht erfolgt sei. Die Handlungen hätten so zu vorsätzlichen Körperverletzungen geführt. Nur medizinisch indizierte und lege artis durchgeführte Handlungen würden diesen Tatbestand nicht erfüllen.

Strafdrohung massiv erhöht

Dem Arzt, der sich zunächst geständig gezeigt und seinen Fehler eingeräumt hatte, drohte bei der Verhandlung am Mittwoch noch wegen grob fahrlässiger Tötung und fahrlässiger schwerer Körperverletzung eine Haftstrafe bis zu drei Jahren. Mit der Zuständigkeit durch ein Schöffengericht, weil der Anästhesist nicht fahrlässig, sondern vorsätzlich gehandelt haben soll, würde sich die Strafdrohung dadurch spürbar erhöhen – im äußersten Fall auf bis zu 15 Jahre Haft.

„Manchmal macht man kleine Fehler, da passiert nichts. Und manchmal macht man große Fehler, da passiert leider etwas Schlimmes“, sagte der Beschuldigte und bedauerte zu Prozessbeginn vor Gericht, in der privaten Kinderwunschklinik ein angebrochenes Fläschchen Propofol verwendet zu haben. Dem 64-jährigen Anästhesisten wurde grob fahrlässige Tötung vorgeworfen.

Der Mediziner hatte im Verlauf des Ermittlungsverfahrens für den Vorfall vom Juni Verantwortung übernommen, bekannte sich nun aber nicht schuldig – mehr dazu in Kinderwunschklinik: Arzt revidiert Geständnis (noe.ORF.at; 8.12.2020). Der Angeklagte, der die österreichische Staatsbügerschaft hat, soll am 3. Juni bei einer Follikel-Punktion (Anstechen der Eibläschen zur Eizellenentnahme, Anm.) Fehler bei der Verabreichung des Mittels Propofol begangen haben.

Verteidiger Michael Dohr (rechts im Bild) und der Angeklagte
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Verteidiger Michael Dohr (r.) und der Angeklagte

Wie der Staatsanwalt in seinem Eröffnungsvortrag erklärte, hatte der 64-Jährige am Tag davor ein Fläschchen mit dem Medikament benutzt. Anstatt es – wie üblich – danach zu entsorgen, transportierte der Beschuldigte das bereits geöffnete Gebinde mit nach Hause und lagerte es dort im Kühlschrank. „Dieses Fläschchen hat er am 3. Juni wieder mitgenommen in die Babywunschklinik“, schilderte der Vertreter der Anklagebehörde. „Das war Zufall, Schicksal für mich. Das war blöd“, gab der Anästhesist zu Protokoll. In der Badener Einrichtung will der grundsätzlich in einem Wiener Spital tätige Mediziner Anfang Juni nur ausgeholfen haben. „War eine schlechte Idee für mich“, befand er trocken.

Beschuldigter warf keinen Blick auf den Beipackzettel

Inhaltsstoffe aus dem mit Darmkeimen kontaminierten Gebinde soll der 64-Jährige schließlich im Rahmen der Behandlung auf drei Frauen übertragen haben. Eine 32-jährige Patientin starb zwei Tage später in einem Wiener Krankenhaus. Sie hatte laut Staatsanwaltschaft einen septischen Schock mit massiver Blutgerinnungsstörung erlitten, als Auslöser gilt eine Kontamination mit Keimen. Zwei weitere Frauen waren vorübergehend intensivmedizinisch betreut worden, befanden sich aber bald auf dem Weg der Genesung. In diesem Zusammenhang wird dem Facharzt für Anästhesie und Intensivmedizin fahrlässige schwere Körperverletzung vorgeworfen.

Propofol zu nutzen, das sei für ihn über 30 Jahre hinweg „nie ein Problem“ und eigentlich „so wie Fahrrad fahren“ gewesen, betonte der Arzt. Dass man bereits geöffnete Behältnisse dieses Mittels nicht erneut verwenden dürfe, sei ihm allerdings nicht bekannt gewesen, sagte der von Kollegen als sehr wissbegierig beschriebene Angeklagte zum Erstaunen des Einzelrichters. In fachlichen Publikationen will er in diesem Zusammenhang nicht extra nachgelesen haben, auch einen Blick in den Beipackzettel warf er vor den Behandlungen eigenen Angaben zufolge nicht.

Kinderwunschklinik Feichtinger in Baden
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Die Eingriffe, von denen einer für eine junge Frau tödlich endete, wurden in dieser Kinderwunschklinik durchgeführt

Verteidiger: „Wie kommt Darmkeim in den Kühlschrank?“

Von den aufgetretenen Komplikationen sei er daher wie zerstört gewesen, sagte der Mediziner, der von einer „furchtbaren Sache“ sprach: „Ich bin noch immer fertig und habe kein Gedächtnis mehr“. Dass er das Propofol nicht richtig verwendet habe, gebe er zu. „Aber das war nicht die Ursache für den Tod.“

Michael Dohr, der Verteidiger des Anästhesisten, sah dies ähnlich. Bei der 32-Jährigen sei aufgrund insgesamt 19 entnommener Eizellen eine ovarielle Hyperstimulation vorgelegen, wegen der es zu einer letztlich tödlichen Gerinnungsstörung im Körper gekommen sei. In Zweifel gezogen wurde vom Anwalt auch die Verkeimung des Medikamentenfläschchens. „Man fragt sich, wie ein Darmkeim in den Kühlschrank kommen kann“, stellte der Jurist in den Raum. Weiters sei der Keim erst nachgewiesen worden, nachdem das Gebinde längere Zeit im Mistkübel gelegen sei.