Anna Kiesenhofers Familie verfolgte das Rennen seit 5.45 Uhr. „Wir haben uns eigentlich gedacht zwischendurch werden wir gemütlich frühstücken, aber das wurde auf später verlegt. Dazu sind wir nicht gekommen“, erzählte Mutter Christine Kiesenhofer. Sie sei froh, dass ihre Tochter gesund ins Ziel gekommen ist: „Man hat dann gemerkt, dass der Zeitvorsprung sich ausgeht, aber immer wenn irgendwas passiert, ist das weg und da war ich froh, dass sie gesund und ganz angekommen ist.“
Erwartet hätten sich Mutter und Schwester Jutta Katharina so eine herausragende Leistung nicht, betonen aber Annas großen Ehrgeiz: „Wenn sie dort ist, ist sie nicht dabei nach dem Motto ‚Dabei sein ist alles‘“, so Christine Kiesenhofer gegenüber noe.ORF.at.
„Mischung aus Talent und extrem viel Arbeit“
Ihre Schwester Anna habe sich schon seit der Kindheit durch Disziplin und Ehrgeiz ausgezeichnet, schildert Jutta Katharina: „Sie hat die Mischung aus Talent und extrem viel Arbeit, die sie reinsteckt. Sie hat so einen zähen Willen und ist extrem intelligent. Sie weiß ganz genau, was sie macht. Sie kennt sich extrem gut aus mit dem Rad, mit Ernährung, mit Leisstungssteigerung, kennt ihren Körper ganz genau.“
Das Rennen sei sehr emotional für sie gewesen. Zwischenzeitlich habe sie Sorgen gehabt, ob ihre Schwester das Tempo halten kann: „Wirklich realisiert hab ich es erst bei den letzten Kilometern. Natürlich traue ich meiner Schwester extrem viel zu, aber da sind ja Spitzenathletinnen dabei, die schon viel gewonnen haben, da war immer die Angst ein bisschen da, ob sie das schafft. Es ist noch gar nicht angekommen bei uns.“
Niederkreuzstetten – Heimat einer Olympiasiegerin
Der Ort im Weinviertel zog am Sonntag nach Kiesenhofers Sieg Radfahrerinnen und -fahrer förmlich an: Beim Lokalaugenschein von noe.ORF.at erzählte eine Radgruppe, dass sie wegen Kiesenhofers Goldmedaille kurzerhand nach Niederkreuzstetten fuhr, um der Familie zu gratulieren. In der ganzen Gemeinde war der Sieg natürlich Gesprächsthema.
„Aufgrund der Zurufe nehm ich an, dass das mindestens die halbe Bevölkerung gesehen hat“, erzählte Bürgermeister Adi Viktorik (SPÖ). „Die Anna gibt immer mehr als 100 Prozent und das hat man heute sehr, sehr gut gesehen“, sagte Nachbar Viktor Lehner. Für Nachbarin Janine Döltl war es extrem spannend: „Sie (die Kommentatoren; Anm.) haben immer gesagt, dass jetzt nichts mehr passieren darf, kein technisches Gebrechen. Und wir haben immer gesagt: Da passiert nichts mehr. Die schafft das und so war es dann auch.“
Olympiasiegerin Anna Kiesenhofer im Interview
Die Rad-Amateurin spricht im ORF NÖ Interview über ihr Erfolgsrennen.
Familie gab Kraft und Motivation
Die Goldmedaillengewinnern sprach im Interview mit „NÖ heute“-Moderatorin Nadja Mader davon, dass sie während des Rennens immer wieder an ihre Mutter und ihre Familie dachte. So bedankte sie sich kurz nach ihrer Fahrt durchs Ziel bei mehreren Verwandten. „Sie sind für mich einfach eine extrem wichige Unterstützung. Ich hab im Rennen oft an sie gedacht und das hat mir Motivation gegeben, um das durchzuziehen, wie es richtig hart wurde.“
Ihre Rolle als Außenseiterin und Underdog sei ihr großer Vorteil gewesen: „Weil dadurch niemand der großen Teams direkt die Initiative ergriff, um mich einzuholen und ich hatte dann doch einen großen Abstand und konnte einen Teil davon bis ins Ziel halten“, sagte Kiesenhofer.

Erste Goldene für Österreich seit 17 Jahren
Die gebürtige Weinviertlerin holte das erste Rad-Olympia-Gold für Österreich seit Adolf Schmal 1896 in Athen und die erste Goldene seit den zwei Siegen durch Triathletin Kate Allen und den Tornado-Segler Roman Hagara/Hans Peter Steinacher 2004 in Athen. Im Ziel auf dem Fuji-Speedway triumphierte Kiesenhofer mit 1:15 Minuten Vorsprung auf die Niederländerin Annemiek van Vleuten und 1:29 auf die Italienerin Elisa Longo Borghini.
Kiesenhofer gehört keinem großen, internationalen Team an und hat auch keinen Profivertrag. 2017 hatte sie die begonnene Profikarriere bei einem belgischen Team noch im gleichen Jahr wieder beendet. Die 30-Jährige lebt in Niederkreuzstetten und in Lausanne (Schweiz), wo sie als Mathematikerin an der Eidgenössischen Technischen Hochschule arbeitet. Ihr Spezialgebiet ist partielle Differentialgleichung. Zuvor studierte sie Mathematik und Physik an der Technischen Universität Wien (Bachelor), in Cambridge (Master) und in Barcelona (PhD).