Kurt Weinberger, August 2021
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ORF/Pöchhacker
Umwelt & Klima

Weinberger: „Können von Beton nicht abbeißen“

Die Welt heizt sich auf. Die Unwetter im Sommer müssen ein Weckruf sein, sagt Kurt Weinberger, Chef der Hagelversicherung. Das größte Problem ist laut ihm die Bodenversiegelung, die auch in Niederösterreich voranschreitet. Er fordert Gesetzesänderungen.

Der 60-jährige Versicherungsmanager Kurt Weinberger studierte an der Universität für Bodenkultur in Wien und Rechtswissenschaften an der Universität Salzburg. Der dreifache Familienvater hat vor 20 Jahren den Klimaschutzpreis ins Leben gerufen. Seit 2002 ist er Vorstandsvorsitzender der Österreichischen Hagelversicherung. Die Hagelversicherung versichert gegen Hagel, Frost, Dürre, Sturm, Überschwemmungen, Feuer, Schädlinge und Tierseuchen.

noe.ORF.at: Wer heute auf die Welt kommt, erlebt wahrscheinlich, wie es in Österreich um fünf Grad heißer wird. Das sind eigentlich schockierende Nachrichten – nur: so richtig schockiert ist niemand. Unterschätzen wir den Klimawandel?

Kurt Weinberger: Tatsache ist, dass der Klimawandel stattfindet. Und wenn wir so weitertun, dann sind diese Prognosen richtig. Das ist eigentlich Weckruf genug. Wir müssen unser Verhalten ändern.

noe.ORF.at: Die Unwetter werden extremer. Niederösterreich war besonders betroffen in den letzten Wochen, etwa im Juni im Weinviertel. Aber ein weiteres riesiges Problem ist die Bodenversiegelung. Zubetonierter Boden kann kein Wasser oder CO2 speichern. Niederösterreich ist in dieser Hinsicht vorne dabei. Warum verbauen wir so viel?

Weinberger: Österreich ist in diesem Punkt führend in der gesamten europäischen Union. Es ist das brennendste Umweltproblem, das wir lösen müssen. Ein paar Zahlen dazu: Wir haben die höchste Supermarktfläche pro Kopf und das dichteste Straßennetz Europas. Wenn wir so weiter machen, dann gibt es in 200 Jahren keine Agrarflächen mehr. Das dürfen wir nicht zulassen. Wir können vom Beton nicht abbeißen. Das heißt, wir gefährden massiv die Ernährungssouveränität des Staates. Wir haben beim Getreide einen Selbstversorgungsgrad von 85 Prozent, bei Obst von 50 Prozent, bei Soja von 20 Prozent. Wir sind schon sehr verletzbar in dieser Frage.

Kurt Weinberger und ORF-NÖ-Redakteurin Eva Steinkellner-Klein, August 2021
ORF
Kurt Weinberger in der „Ganz Persönlich“-Interviewreihe mit ORF-NÖ-Redakteurin Eva Steinkellner-Klein

Kommunalsteuer an Ressourcenverbrauch koppeln

noe.ORF.at: Was fordern Sie konkret von der Politik?

Weinberger: Wir brauchen ein Bündel an Maßnahmen. Dass etwas schiefläuft, da braucht man nur durchs Land fahren und schauen, wie zersiedelt es ist. Es muss gestattet sein, über die Raumordnung zu diskutieren. Konkret brauchen die Ämter der Landesregierung mehr Macht um die Genehmigungen der Flächenwidmungsabänderungen auf Gemeindeebene strenger und restriktiver zu vollziehen. Das wäre Punkt eins.

Punkt zwei: die Kommunalsteuer. Durch diese Steuer kommt der Bürgermeister in einen Interessenkonflikt: Er soll einerseits großzügig sein in der Widmung, er will gewählt werden, gleichzeitig braucht er Einnahmen. Es würde Sinn machen, die Kommunalsteuer auf Bundesebene einzunehmen und über den Weg des Finanzausgleiches, wie es auch bei den anderen Steuern ist, entsprechend zu verteilen. Diese Rückgabe könnte man an die Frage koppeln, wie die Gemeinde mit dem Naturkapital Boden, Luft und Wasser umgegangen ist – also mit dem Ressourcenverbrauch. Ein Thema ist der Leerstand von Immobilien. Wir brauchen ein Anreizsystem diese leerstehenden Immobilien wieder in eine Nutzung zu bringen, bevor wir täglich 16 Fußballfelder unwiederbringlich zerstören.

noe.ORF.at: Sie wurden bei der internationalen Klimakonferenz in Österreich, dem „Austrian World Summit“, von Arnold Schwarzenegger ausgezeichnet. Sie sagen: Klimaschutz wird uns Wohlstand bringen, viele verbinden mit Klimaschutz Verzicht.

Weinberger: Ökonomie und Ökologie sind kein Widerspruch. Wir haben ein Wirtschaftssystem, das ausschließlich auf das Bruttoinlandsprodukt ausgerichtet ist. Da müssen wir umdenken und schauen: Was bedeutet Wohlstand? Bedeutet das ausschließlich Einkommenserhöhung oder berücksichtigt das auch das Naturkapital wie zum Beispiel Boden, Luft und Wasser?

Kurt Weinberger (r.) und Arnold Schwarzenegger am „Austrial World Summit“ 2021
privat
Arnold Schwarzenegger und Kurt Weinberger bei der internationalen Klimakonferenz „Austrian World Summit“ in Wien

noe.ORF.at: Was machen Sie eigentlich im Alltag, um das Klima zu schützen?

Weinberger: Ich fahre immer mit dem Zug. Zu Hause haben wir schon viele, viele Jahre Photovoltaik, erzeugen Strom selbst, haben ein E-Auto und bei uns ist es schon seit Jahrzehnten Standard, dass wir regionale Lebensmittel einkaufen. Es gibt Ausnahmen wie Kaffee oder Tee, aber grundsätzlich schauen wir, dass wir die Lebensmittel aus der Region beziehen.

noe.ORF.at: Sie sind auf einem Bauernhof aufgewachsen. Sie haben einen Bezug zur Natur. Kommt daher Ihr Engagement im Umweltschutz?

Weinberger: Ich bin auf einem bäuerlichen Betrieb aufgewachsen mit vier Geschwistern und ich musste dort auch hautnah miterleben wie vor Jahren mit einer Brutalität die Umgebung unseres Bauernhofes durch Baumaßnahmen zerstört worden ist. Es wurde beispielsweise eine Umfahrung mit enormem Flächenverbrauch gebaut, die Au dort wurde von einem Transportunternehmen gerodet und zerstört und auch bester Agrarboden weiter verbaut. Diese Gegend wurde in den letzten Jahren wirklich zerstört. Das sind schon persönliche Erlebnisse, die einen dann motivieren, seine Stimme gegen eine derartige Fehlentwicklung zu erheben.

noe.ORF.at: Wenn Sie 50 Jahre in die Zukunft schauen, werden wir das Ruder herumreißen können?

Weinberger: Ich möchte nicht in Afrika leben, unter solchen Umständen. Aber solche Umstände kommen, wenn wir das nicht ändern, mit all den Konsequenzen, die damit verbunden sind: soziale Spannungen oder auch weitere Migrationsbewegungen. Denn wenn man vor Ort kein Wasser hat oder keine Nahrung, dann wird man dort hingehen, wo es besser ist. Aber ich bin da optimistisch. Das hat uns auch die Pandemie gezeigt, wenn die Weltbevölkerung vor einer großen Herausforderung steht, dann ist offensichtlich ein Momentum da, dass kollektive Intelligenz so stark ist, um ein Problem lösen zu können. Und ich denke, an diesem Momentum ist man angelangt.