Zum Festivalfinale gab es in Grafenegg am Sonntagabend passenderweise Strauss’ „Vier letzte Lieder“ zu hören. Gemeinsam mit der Filarmonica della Scala di Milano unter der Leitung von Andres Orozco-Estrada trat die US-Amerikanerin Renee Fleming auf. Für sie war es eine Rückkehr: Bereits 2007, in der allerersten Festivalsaison, war sie schließlich hier am Wolkenturm zu Gast gewesen.
Rudolf Buchbinder, künstlerischer Leiter in Grafenegg, streute der Sopranistin schon vor dem Auftritt Rosen. Ein Erlebnis werde er nie vergessen: „Bei ihrem Auftritt 2007 gab es strömenden Regen. Sie hatte drei Zugaben vorbereitet. Zum Publikum sagte sie, ‚Damit Sie nicht so lange im Regen sitzen müssen, singe ich jetzt alle drei hintereinander.‘ Das ist Professionalität.“ Dreieinhalb Wochen Europatournee hat Fleming mittlerweile bereits hinter sich. „Es ist für mich total episch, wieder hier zu sein“, sagte sie gegenüber noe.ORF.at. Sie liebe Open-Air-Konzerte generell und sehe es nach zwei schwierigen Jahren als „Geschenk“ an, mit den „Vier letzten Liedern“ wieder auf der Bühne stehen zu können.
Schon wieder mehr als 40.000 Zuseher
Nach dem Abschlusskonzert ist es offiziell: Bereits zum zweiten Mal konnte das Festival der Pandemie trotzen, zumindest weitgehend. Während in beiden Jahren Kulturfestivals abgesagt wurden, gab es für Grafenegg keine Zwangspause. In einer Bilanz für das heurige Jahr sprach Buchbinder von einem „unglaublichen Publikumserfolg“. Man habe in der Sommersaison trotz der relativ geringen Anzahl an Konzerten mehr als 40.000 Besucherinnen und Besucher gezählt. Zum Vergleich: Im Vorjahr waren es nur gut 16.000 gewesen, damals waren allerdings pandemiebedingt erheblich weniger Veranstaltungen und durchgehend geringere Auslastungen möglich.
2020 hatte man ausschließlich auf österreichische Orchester und Solisten gesetzt, heuer gab es wieder ein internationales Programm. Zu Einschränkungen führte das Virus allerdings auch diesmal. Ein besonders drastisches Beispiel dafür gab es gleich beim Eröffnungskonzert. Ein Sänger des Wiener Singvereins wurde trotz zweifacher Impfung positiv getestet. In Absprache mit den Behörden musste Giuseppe Verdis Requiem deshalb ohne Chor auskommen. Einen Sinn für Ironie bewies das Tonkünstler Orchester Niederösterreich vor dem Requiem mit der Ouvertüre zur Verdi-Oper „Die Macht des Schicksals“ – mehr dazu in Nach Coronafall: Programmänderung in Grafenegg (noe.ORF.at; 13.8.2021).
Programmänderungen, aber keine Infektionen
„Wir hatten leider coronabedingt einige Absagen, etwa durch Reisebeschränkungen“, erklärte Buchbinder am Sonntagabend. Neben dem Chor seien „zwei Orchester, ein Dirigent, Instrumentalsolist, Sänger“ ausgefallen, „die mussten wir alle ersetzen. Aber wir haben Gott sei Dank fantastische Substitute bekommen“, so der künstlerische Leiter. Auch der Composer in Residence Toshio Hosokawa konnte nicht anreisen. Bei seiner Rückkehr nach Japan hätten ihn andernfalls drei Wochen Quarantäne erwartet – als Leiter eines japanischen Festivals konnte er sich das nicht erlauben.
Von Infektionen im Rahmen des Grafenegg Festivals ist Buchbinder unterdessen nichts bekannt, die gesetzlich verpflichtende 3-G-Regelung habe gut funktioniert. Der Idealzustand sieht für ihn allerdings nach wie vor anders aus: „Ich hoffe, dass wir nächstes Jahr von diesem Problem befreit werden.“ Das Programm dafür soll bereits in zwei Monaten stehen.