Ukraine Krieg
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Ukraine-Krieg

Was der Krieg mit unserer Psyche macht

Der Krieg in der Ukraine, nur etwas mehr als 1.000 Kilometer von Österreich entfernt, ist für viele Menschen bereits zur Normalität geworden. Das ist laut dem Psychologen Norman Schmid auch sinnvoll. Man könne nicht ständig im Alarmmodus leben.

Vor einem Jahr hat Russland seinen Angriffskrieg auf die Ukraine begonnen. Mindestens 8.000 Zivilisten wurden offiziellen Angaben zufolge bisher getötet, mehr als 13.000 verletzt. Die UNO hat zudem über acht Millionen ins Ausland geflüchtete Ukrainer registriert. In Niederösterreich befinden sich derzeit 12.800 Vertriebene.

Der Krieg hinterlässt auch bei den Menschen in Österreich Spuren. „Einerseits gibt es eine starke Betroffenheit, dass so nahe zu Österreich unvorstellbare Gräuel passieren. Durch die Flüchtenden bekommt man mit, welches Leid damit verbunden ist. Andererseits gibt es auch eine gewisse Kriegsmüdigkeit oder Müdigkeit von der Berichterstattung“, sagt Psychologe Norman Schmid im Interview mit dem ORF Niederösterreich. Manche Menschen würden daher bereits bewusst versuchen, sich vom Krieg abzugrenzen.

„Menschen haben sich an Krieg gewöhnt“

Dass man sich an den Krieg gewöhnt, sei zu einem gewissen Grad allerdings auch „sinnvoll und erforderlich“, sagt Schmid. Ein Kriegsereignis führe zu Stress und somit zu einer Alarmreaktion, in der man sich neu orientieren muss. Das Vorgehen der EU-Staaten und des NATO-Bündnisses wiederum habe den Menschen zum Teil Sicherheit gegeben, dass die Ukraine unterstützt werde.

„Mit diesem Sicherheitsbedürfnis geht eine gewisse Phase eines Abflauens der Alarmreaktion einher. Das bedeutet, dass der Mensch nicht abstumpft, sich aber ein bisschen daran gewöhnt und einen Modus findet, wie er damit umgeht“, sagt Schmid. „Das brauchen wir. Würden wir zu lange nur im Alarmmodus sein, könnten wir nicht mehr vernünftig reagieren.“

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Norman Schmid im Interview: „Dass man sich an den Krieg gewöhnt, ist zu einem gewissen Grad sinnvoll und erforderlich“

Multiple Krisen: „Menschen sind ausgelaugt“

Auch die österreichische Bevölkerung ist aktuell von einer Art „Bedrohung“ betroffen. Die Teuerung macht vielen Menschen zu schaffen, Preise für Lebensmittel und Energie sind massiv gestiegen. „Wenn viele Krisen zusammenkommen, ist unser Pool an Belastbarkeit irgendwann erschöpft. Die multiplen Krisen in den letzten Jahren führen dazu, dass psychische Störungen oder körperliche Erkrankungen in deutlich erhöhtem Ausmaß auftreten“, sagt Schmid. Viele Menschen seien „einfach ausgelaugt“.

Die Solidarität mit der Bevölkerung in der Ukraine müsse deswegen aber nicht gleich kippen, meint der Psychologe. „Einerseits ist es wichtig, dass man sich selbst stärkt und wieder Kraft tankt, andererseits dass man überlegt, wo und wie man helfen kann. Es ist aber nicht sinnvoll, dass man sich 24 Stunden des Tages nur mit diesen Krisen auseinandersetzt.“

Ein Ende des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine ist auch nach einem Jahr nicht in Sicht. Für die kommenden Wochen und Monate empfiehlt Schmid daher, „eine Balance zwischen informiert bleiben und sein eigenes Leben so gut es geht weiter zu leben“ zu finden. Als Einzelperson könne man darauf achten, selbst friedvoll mit der Umgebung, der Familie oder den Nachbarn zu leben. „Wenn wir friedvoll leben, hat es Auswirkungen auf das Globale. Das ist etwas, was man unmittelbar tun kann. Das ist etwas, was einen stärkt“, so der Psychologe.