Politik

Mikl-Leitner gegen „Numerus-Clausus-Flüchtlinge“

Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) will Numerus-Clausus-Flüchtlingen aus Deutschland beim Medizinstudium in Österreich einen Riegel vorschieben. Unterstützung erhält sie dabei von Walter Obwexer von der Universität Innsbruck.

Die Landeshauptfrau verwies am Dienstag bei einer Pressekonferenz in St. Pölten, die „Maßnahmen zur Absicherung der Gesundheitsversorgung“ zum Thema hatte, auf den Ärztemangel, der sich weiter verschärfe, weil dem potenziellen heimischen Nachwuchs die Studienplätze blockiert würden. Der Status quo sei „untragbar“. Nicht zuletzt handle es sich auch um eine Frage des Hausverstandes und der Fairness.

Die aktuelle Regelung sehe vor, dass 75 Prozent der Studienplätze der Humanmedizin an Hochschulen österreichischen Maturanten zur Verfügung stehen müssten, erinnerte Mikl-Leitner. Die restlichen würden an Bürger der EU (20 Prozent) bzw. aus Drittländern (fünf Prozent) vergeben. Weil in Deutschland mit dem Numerus Clausus eine höhere Hürde gelte, würden viele deutsche Bewerberinnen und Bewerber, die diese Hürde nicht schaffen, nach Österreich kommen.

„Ich frage mich, ob es wirklich so sein muss, dass Österreich mit seinen knappen Kapazitäten Ärztinnen und Ärzte für Deutschland ausbilden muss. Warum liegt das in unserer Verantwortung? Wir bräuchten ausreichend österreichische Studierende, die in Österreich bleiben und als Arzt arbeiten wollen“, so die Landeshauptfrau.

Mikl-Leitner argumentierte auch mit einer Auswertung der Statistik Austria, derzufolge mehr als drei Viertel der deutschen Medizinstudenten drei Jahre nach der Beendigung ihres Studiums das Land wieder verlassen hätten. Und das bei Kosten von mindestens 360.000 Euro pro Studienplatz in Mindestzeit. Andererseits werde heimischen Studienanwärtern der Zugang verwehrt, weil es für sie zu wenige Plätze gebe. Für etwa 15.400 Bewerberinnen und Bewerber gibt es 1.850 Studienplätze.

„Österreich verliert jährlich 270 Ärztinnen und Ärzte“

Österreich sei in der Lage nachzuweisen, dass es im Bereich der Humanmedizin die „besondere Universitätsreife“ brauche, argumentierte Walter Obwexer. Immerhin würde man derzeit jährlich etwa 270 ausgebildete Mediziner „verlieren“, die wieder „nach Hause“ gingen. Der Europarechtsexperte führte zudem die Möglichkeit einer „Tätigkeitsverpflichtung“ im österreichischen Gesundheitssystem für einige Jahre an. So lange es einen Medizinermangel gebe, sei das auch aus EuGH-Sicht vertretbar. Dennoch sei zweitere Variante beschränkender als die Argumentation mit der „besonderen Universitätsreife“.

Mit dem Obwexer-Gutachten hat Österreich laut Mikl-Leitner einen „Hebel“ in die Hand. Nächster Schritt anhand der Expertise soll nun eine Novelle des Universitätsgesetzes bis zum Wintersemester 2024/25 sein. Kontakt mit Bildungsminister Martin Polaschek (ÖVP) für eine rasche Umsetzung bestehe bereits.

Pressekonferenz mit Johanna Mikl-Leitner und Walter Obwexer
ORF/Thomas Koppensteiner
Will die Hürden für „Numerus-Clausus-Flüchtlinge“ aus Deutschland verschärfen: Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner beauftragte den Europarechtsexperten Walter Obexer mit einem Gutachten

Weil eine entsprechende Regelung aber erst in einigen Jahren greifen werde, brauche es zusätzliche Maßnahmen, die mittelfristig Abhilfe gegen den Ärztemangel schaffen, wandte sich Mikl-Leitner auch an die Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK). Es gehe dabei um die Attraktivierung von Kassenstellen in ländlichen Regionen und um Förderung für Arztpraxen in Bedarfsregionen. Niederösterreich selbst setze mit den Landarztstipendien einen Impuls, erinnerte die Landeshauptfrau – mehr dazu in Zweite Runde für Landarztstipendien (noe.ORF.at; 14.6.2023).

Bildungsministerium: „Vorschläge werden geprüft“

Aktuell bestehe nach Beendigung des EU-Verfahrens seit geraumer Zeit Rechtssicherheit bzw. Klarheit beim Zugang zum Medizinstudium, hieß es aus dem Büro vom Bildungsminister auf APA-Anfrage zu Mikl-Leitners Vorstoß. Die Vorschläge und Möglichkeiten, um die Quote an österreichischen Studierenden im Medizinstudium zu erhöhen und im Anschluss eine Tätigkeit als Arzt und Ärztin in Österreich sicherzustellen, würden aber „in Zusammenarbeit mit dem Verfassungsdienst juristisch geprüft“. Grundsätzlich sei die Drop-Out-Quote beim Medizinstudium sehr gering und es gäbe genug Absolventinnen und Absolventen, um den Ärztebedarf in Österreich zu decken. Es brauche deshalb Anreize, damit diese auch in Österreich bleiben.

Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) betonte am Rande eines Termins, dass man sich beim Zugang zum Medizinstudium im Rahmen europäischer Vorgaben bewegen müsse. Als mögliches Vorbild, um mehr Medizin-Absolventen in das österreichische Gesundheitssystem zu bringen, verwies er auf ein Pilotprojekt des Bundesheers, wo Medizinstudierende einen privilegierten Zugang erhalten, sich dafür aber für eine gewisse Zeit verpflichten, als Arzt für das Bundesheer tätig zu sein. Auch mehr Praxis- und Alltagstauglichkeit beim Aufnahmeverfahren könnte ein Hebel sein.

Ärztekammer: „Verlieren auch österreichische Studierende“

Ärztekammer-Präsident Harald Schlögel zeigte sich am Dienstag auf Anfrage von noe.ORF.at gegenüber dem Vorschlag zwar grundsätzlich positiv. „Wenn ein Hebel entdeckt wurde, warum nicht?“, so Schlögel. Wenn der Pool an deutschen Studierenden wegfalle, sei aber zu befürchten, dass dieser mit Studierenden aus anderen EU-Ländern aufgefüllt werde, sieht er nicht zwingend Vorteile für österreichische Bewerberinnen und Bewerber. Zudem würde man auch „zehn bis zwölf Prozent“ der österreichischen Studierenden in das EU-Ausland – vor allem Deutschland und die Schweiz – verlieren, weil es dort deutlich höhere Einkommen und schnellere Einstiegschancen für Jungärztinnen und Jungärzte gebe.

Einen Ärztemangel sieht der Präsident der Ärztekammer übrigens nicht, vielmehr ein Verteilungsproblem. „Wir haben einen Mangel im öffentlichen System, in den Krankenhäusern.“ Dieses Problem betreffe aber nicht nur die Medizinerinnen und Mediziner. „Wir müssen das Team und nicht die einzelne Berufsgruppe fördern.“ Es brauche etwa auch zusätzliche Pflegerinnen und Pfleger, Sanitätshilfsdienste oder OP-Helferinnen und -Helfer – mehr dazu in Situation in Spitälern weiter angespannt (noe.ORF.at; 21.4.2023).