Studiogespräch zu Antisemitismus
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Chronik

Experte: „Schulterschluss gegen Extremismus“

Seit dem Terror in Israel ist Antisemitismus auch hierzulande wieder ein großes Thema. Dagegen vorzugehen ist laut Terror- und Extremismusforscher Nicolas Stockhammer eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe – „es bedarf eines Schulterschlusses gegen Extremismus.“

Der Krieg in Israel sorgt nicht nur für Diskussionen, sondern auch in Österreich vermehrt zu antisemitischen Vorfällen. Nach dem Brandanschlag auf dem Wiener Zentralfriedhof werden auch die jüdischen Friedhöfe in Niederösterreich verstärkt überwacht – mehr dazu in Jüdische Friedhöfe werden verstärkt überwacht (noe.ORF.at, 3.11.2023).

Im Kampf gegen Extremismus sei jede und jeder gefordert, so Terror- und Extremismusforscher Nicolas Stockhammer von der Donau Universität Krems im „Niederösterreich heute“-Interview mit Veronika Berger – eine große Rolle spielen auch pädagogische Institutionen.

noe.ORF.at: Herr Stockhammer, Antisemitismus ist gerade wieder ein Riesenthema – seit dem Terror in Israel. Und das sehen wir in ganz Europa: Viele, teils auch sehr junge Menschen, auf pro-palästinensischen Demonstrationen. Sind Junge hier besonders empfänglich?

Stockhammer: Prinzipiell ist es so, dass von extremistischen Kräften im Internet gefischt wird und Jugendliche hier doch ansprechbar sind. Es gibt diverse Plattformen in den Sozialen Medien, die hier sehr ungefilterte Messages an die Jugendlichen weitergeben. Es ist aber auch so, dass bewusst danach gesucht wird.

noe.ORF.at: Sie haben selber einmal gesagt, Terror organisiert sich heute vor allem im Internet. Wer ist denn da gefordert, gegenzusteuern? Ist es die Politik? Sind es die Schulen? Sind es die Familien?

Stockhammer: Also Terrorismusbekämpfung, Extremismusbekämpfung ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Jeder und jede Einzelne ist gefordert. Aber natürlich: Von den Institutionen her sind es auch die pädagogischen Anstalten, die Schulen, die Sportvereine, die sozialen Begegnungsinstitutionen. Sie sind gefordert, dass man hier direkt Jugendliche adressiert, ihnen eine alternative Erzählung bietet, die Fake News und propagandistischen Ideologien der Extremisten entmystifiziert und etwas entgegensetzt.

noe.ORF.at: Wenn wir sehen: Ukraine-Krieg, Konflikt in Nahost, Klimakrise. Wie wirkt sich denn diese allgemeine Gemengelage auf Extremismus aus?

Stockhammer: Das ist ein immenser Antreiber für Radikalisierung und Extremismus schlussendlich. Krisen bedingen Unsicherheit. Unsicherheit bedingt eine Suche nach einfachen Antworten. Und gerade Jugendliche sind sehr verunsichert, versuchen Halt zu finden. Und dann gibt es eben extremistische Gruppen, Botschafter, die hier ganz bewusst nach ansprechbaren fischen, diese in ihren Bann ziehen wollen und dann in den Extremismus hineinziehen. Das ist leider eine große Bedrohungslage der Gegenwart.

noe.ORF.at: Kommen wir zurück auf Antisemitismus. Der war früher vor allem verbunden mit rechtsextremen Positionen. Heute findet man ihn aber auch im linken Lager und unter extremen Islamisten. Wo geht die größte Gefahr aus?

Stockhammer: Derzeit ist es natürlich aufgrund der geopolitischen Situation, des grassierenden Konflikts und des Krieges in Gaza der muslimische Antisemitismus, der Hochkonjunktur erlebt, aber auch aus einem linksextremistischen Spektrum befeuert wird. Zum Beispiel die Demonstrationen, die wir in Wien gesehen haben: Pro Palästina wurden mitunter von Personen organisiert und bestritten, die hier doch keine Berührungsängste zum links äußersten Spektrum haben. Ideologisch ist das sehr stark durch ein antizionistisches Narrativ verankert und daraus entwickelt sich dann eben auch eine gewisse antisemitische Werthaltung.

noe.ORF.at: Gibt es trotz allem in den Augen des Terrorexperten auch Grund zur Zuversicht?

Stockhammer: Ich habe immer Grund zur Zuversicht. Eine Begründung sehe ich darin, dass es jetzt vermehrt Initiativen gibt. Von der muslimischen Gemeinschaft in Österreich sind etwa erste stärkere Initiativen zu erkennen, um dem entgegenzuwirken. Aber auch hier muss ich nochmals betonen: Es ist eine gesamtgesellschaftliche Anstrengung und es bedarf eines Schulterschlusses gegen Extremismus, gegen Antisemitismus, gegen Antizionismus, Judenhass. Also alles, was hier an Schrecklichkeiten propagiert wird, muss entkräftet werden, darf nicht toleriert werden. Ich sage immer: Intoleranz gegenüber den Intoleranten.