Kultur

„Der letzte Jude St. Pöltens“ gestorben

Der Mediziner und jüdische Zeitzeuge Hans Morgenstern ist am Freitag im Alter von 85 Jahren gestorben. Der St. Pöltner musste mit seiner Familie vor den Nazis fliehen, nach dem Krieg kehrte er zurück. Morgenstern war für viele Anlaufstelle und galt als der „letzte Jude St. Pöltens“.

Im März 1939 flüchtete der damals einjährige Hans Morgenstern mit seinen Eltern vor dem NS-Regime noch rechtzeitig nach Israel, damals Palästina. 1947, zwei Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges, kehrte die Familie in das damals graue und zerstörte St. Pölten zurück. Hans Morgenstern studierte in Wien Medizin und eröffnete eine Praxis als Dermatologe in St. Pölten.

Neben seiner Tätigkeit als Arzt nahm er seine Arbeit gegen das Vergessen auf: Er sammelte tausende Biografien jüdischer Menschen, die auf einem künstlerischen oder wissenschaftlichen Gebiet Bedeutendes geleistet hatten. Das Resultat dieser jahrzehntelangen Arbeit erschien 2009 als „Jüdisches Biographisches Lexikon". Auch seine beiden Großmütter und vier Großtanten waren im Holocaust ermordet worden. Ihnen und den anderen mehr als 500 Opfern der völlig vernichteten Kultusgemeinde St. Pölten galt sein Wirken.

Hans Morgenstern
Stadt St. Pölten
Hans Morgensterns 2009 erschienenes Buch ist eine Sammlung von bedeutenden Persönlichkeiten jüdischer Herkunft ab 1800

Erste Anlaufstelle

Morgenstern war die erste Anlaufstelle für die Vertriebenen selbst oder deren Nachkommen bei ihrer Kontaktaufnahme mit der alten Heimat. Unter anderem durch seine Initiative wurde 1980 die Synagoge in St. Pölten renoviert und seine Informationen bildeten die Grundlage für einen 1992 davor errichteten Gedenkstein.

Ungeheuer wertvoll ist sein Fotoalbum von Überlebenden und von Ermordeten, aus der ganzen Welt zusammengetragen, die erste Sammlung zur St. Pöltner jüdischen Gemeinde. „Nicht zuletzt“, schrieb Hans Morgenstern im Vorwort seines Lexikons, „soll dieses Werk als Erinnerung an die Ermordeten und Vertriebenen dienen und sie so dem völligen Vergessen Werden entreißen.“

„Das Gedächtnis der Stadt“

Sein Werk war die Basis für zahlreiche weitere Forschungen bis hin zu den Steinen der Erinnerung in St. Pölten. Die Direktorin des Instituts für jüdische Geschichte Österreich in St. Pölten, Martha Keil, beschreibt Morgenstern als „das Gedächtnis der Stadt“, der „für unsere Forschungsarbeit eine unerschöpflich wertvolle Quelle“ war: "Seine kluge, kritische und humorvolle Präsenz hat mehr zum Gedenken an die vernichtete jüdische Gemeinde beigetragen als alle Beteuerungen des ,Niemals vergessen‘. Er wird uns unendlich fehlen.“

Hans Morgenstern im persönlichen Interview

Für seine Verdienste, für sein Wirken gegen das Vergessen erhielt Hans Morgenstern auch das Ehrenzeichen der Stadt St. Pölten. „Mit seinen Aufarbeitungen hat er wertvolle Arbeit geleistet, wofür man ihm nicht genug danken kann. Wir werden ihm stets ein ehrendes Andenken bewahren“, betonte St. Pöltens Bürgermeister Matthias Stadler (SPÖ) in einer Aussendung.