Loimersdorf Ortsansicht
ORF/Tobias Mayr
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Wissenschaft

Wie Kroatisch aus dem Marchfeld verschwand

Einst sprachen Tausende Marchfelderinnen und Marchfelder Kroatisch, in einigen Dörfern sogar mehrheitlich. Doch anders als im Burgenland ist die Sprache in Niederösterreich ausgestorben. Die Hintergründe wurden nun von der Universität Wien umfassend erforscht.

Heute findet man Hinweise auf die kroatische Besiedelung des Marchfelds vor allem auf Friedhöfen. Zahlreiche kroatische Familiennamen zeugen von der einst blühenden kroatischen Minderheit in Dörfern wie Wagram an der Donau, Eckartsau, Breitensee und Haringsee (alle Bezirk Gänserndorf). In manchen Orten, darunter Loimersdorf, Engelhartstetten und Kopfstetten (ebenfalls Bezirk Gänserndorf), stellten die Kroaten sogar die Mehrheit, erklärt die Sprachwissenschaftlerin Agnes Kim von der Universität Wien. Ihre Dialekte sind heute längst ausgestorben.

In den vergangenen Jahren rekonstruierte Kim mit Hilfe von alten Kirchenbüchern und Grabsteinen die Geschichte und das Schicksal der kroatischen Familien im Marchfeld. Schriftliche Quellen der Menschen selbst sind nicht erhalten, doch durch Beschreibungen des damals gesprochenen Dialekts lassen sich Herkunft und zeitlicher Verlauf heute einigermaßen sicher beschreiben. Für ihre Forschung erhielt Kim im Vorjahr den Wissenschaft-Zukunft-Preis des Landes Niederösterreich – mehr dazu in Forschungspreise: Von Mittelalter bis Rabe (noe.ORF.at; 11.10.2023).

Kühles Wetter und heiße Schlachten

Am Beginn der Geschichte der Marchfelder Kroaten stehen klimatische sowie geopolitische Veränderungen auf dem europäischen Kontinent. Ab dem Ende des 13. Jahrhunderts sanken die mittleren Temperaturen in Mitteleuropa abrupt, Klimahistoriker sprechen von der Kleinen Eiszeit, die einer mittelalterlichen Warmperiode folgte. Die niedrigen Temperaturen hatten schlimme Folgen: „Das bedeutete, dass weite Landstriche, die nicht so fruchtbar waren, verödet sind“, erklärt Kim. Darunter fiel auch das Marchfeld, das damals ein sandiger und mühsam zu kultivierender Boden war.

Hinzu kamen die blutigen Eroberungsfeldzüge der Osmanen, die erst mit der zweiten gescheiterten Türkenbelagerung Wiens 1683 ein Ende fanden. Das flache Marchfeld war wiederkehrender Schauplatz gewaltsamer Kriegshandlungen. Als „verwüstetes Gebiet“ beschreibt es die Wissenschaftlerin. Nach zwei türkischen Belagerungen innerhalb weniger Generationen sei das Marchfeld regelrecht entvölkert gewesen, dazu kam die Mangelernährung durch das kühle Klima. Die Bevölkerung im Marchfeld schrumpfte drastisch.

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Loimersdorf Ortsansicht
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In Loimersdorf fanden Alltag und Glaube im 18. und 19. Jahrhundert fast ausschließlich auf Kroatisch statt
Grabstein kroatischer Name
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Heute erinnert daran nur noch die hohe Zahl kroatischstämmiger Familiennamen auf dem Friedhof
Marchfeld Landschaft
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Das Marchfeld war bis zur Ankunft kroatischer Siedler weitgehend entvölkert
Marchfeld Landschaft
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Schuld daran waren die Kleine Eiszeit und die Türkenbelagerungen

Neue Arbeitskräfte vom Balkan

„Das hat dazu geführt, dass die Grundherren gewissermaßen neue Arbeitskräfte, neue Bewohnerinnen und Bewohner für den Raum finden mussten“, sagt Kim. Viele österreich-ungarische Adelige hätten neben ihren Landsitzen rund um Wien auch Ländereien in entlegenen Gebieten des Reichs besessen, etwa in Kroatien.

„Am Balkan herrschten zu der damaligen Zeit auch Türkenkriege, die Osmanen eroberten weite Teile des Balkans, die Menschen von dort mussten fliehen“, erklärt die Sprachwissenschaftlerin Kim. Viele Gutsherren nutzten die Gunst der Stunde und versprachen ihren heimatlosen Untertanen einen Neustart im Zentrum des Reiches.

Warum eigentlich: Kroatisch im Marchfeld

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Erste Kroaten ab 1700 im Marchfeld

In der Forschung gehe man heute davon aus, dass die Menschen vor allem aus dem kroatischen Zentralraum nahe dem Grenzgebiet zu Bosnien stammten, erklärt Kim. Im Marchfeld fassten die angeworbenen kroatischen Siedler rasch Fuß. Kirchliche Sterbebücher verzeichnen in Loimersdorf bereits 1733 den ersten Hinweis auf Bürger mit kroatischen Namen. Ab 1700 könne man daher davon ausgehen, dass Kroaten im Marchfeld lebten, sagt Kim. In besonders stark von Kroaten besiedelten Dörfern wie Loimersdorf dürften im 18. Jahrhundert von den 300 bis 400 Einwohnern rund 300 bis 350 Kroatisch gesprochen haben.

„Es ist davon auszugehen, dass der Umgang der ländlichen Bevölkerung miteinander auch in den mehrsprachigen Orten tendenziell auf Harmonie, auf dem Zusammenleben und auch auf gemeinsamem Auskommen miteinander basierte“, sagt Kim. Doch Sprache sei immer auch als machtpolitisches Mittel in der Vielvölkermonarchie verwendet worden, betont sie.

Kroatisch wurde bekämpft

Insbesondere unter den niederösterreichischen Landständen wurde die Ausbreitung des Kroatischen vor den Toren der Hauptstadt mit Argwohn betrachtet. „Schon im 17. Jahrhundert haben die Landstände versucht, die Privilegien der kroatischsprachigen Bevölkerung insbesondere auf den eigenen Gottesdienst einzuschränken“, erklärt Kim. 1792 setzten die Landstände in Loimersdorf Deutsch als Kirchensprache durch und leiteten so indirekt das Ende der kroatischen Sprache im Marchfeld ein.

„Gerade diese institutionelle Sprachverwendung hat mit hoher Wahrscheinlichkeit früher oder später zur Germanisierung geführt, dazu, dass die Menschen ihre Sprache gewechselt haben“, sagt Kim. Die Gründe hinter den intensiven Germanisierungsbemühungen im Marchfeld seien heute nur schwer zu rekonstruieren, meint Kim. „Eine Vermutung liegt nahe, nämlich dass das Kernland des Habsburgerreiches von den deutschsprachigen Ständen und vom deutschsprachigen Adel einfach für sich beansprucht wurde.“

Kroatentor Groß-Enzersdorf
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Das „Kroatentor“ erinnert in Groß-Enzersdorf heute noch an die dichte kroatische Besiedelung des Marchfelds

Kroatisch verschwindet im Marchfeld

Die Germanisierung verlief erfolgreich, spätestens ab 1900 war Kroatisch keine vitale Sprache mehr im Marchfeld. Kim vermutet, dass bis in die 1930er Jahre noch Personen gelebt haben, die kroatischsprachig aufgewachsen sind, möglicherweise sogar bis in die 1950er und 1960er Jahre. „Leider konnten sie auch von kroatischen Dialektologen nicht mehr gefunden werden, sodass wir keinen konkreten Beleg für die Sprache haben.“

Ganz anders verlief die Sprachpolitik nur wenige Kilometer weiter südlich: Das Burgenland, als Teil der ungarischen Reichshälfte, wurde vom ungarischen Adel beherrscht. Trotz Magyarisierungsbestrebungen sei in Ungarn eine größere gesellschaftliche Mehrsprachigkeit gang und gäbe gewesen, sagt Kim. Dazu kommt: Kirchensprache war in Ungarn ohnedies ausnahmslos Latein.

An das einst blühende kroatische Leben im Marchfeld erinnern heute nur wenige Plätze. In Groß-Enzersdorf (Bezirk Gänserndorf) wird bis heute das ehemalige südöstliche Stadttor „Kroatentor“ genannt. Der Ort Kroatisch-Wagram wurde Ende des 19. Jahrhunderts in das bis heute gebräuchliche Wagram an der Donau umbenannt. Deutsch-Wagram, das sein „Deutsch“ einst erhielt, um es von Kroatisch-Wagram zu unterscheiden, trägt den Zusatz bis heute.