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Chronik

Bub in Hundebox: Prozess endet mit zwei Schuldsprüchen

Am Landesgericht Krems ist am Donnerstagabend der Prozess im Fall um einen Buben zu Ende gegangen, der bis 2022 immer wieder in eine Hundebox gesperrt und fast zu Tode gequält wurde. Beide Frauen, seine Mutter und ihre Freundin, wurden nicht rechtskräftig schuldig gesprochen.

Nach mehr als sieben Stunden Beratung fällten die Geschworenen am späten Donnerstagabend das Urteil: Beide Frauen wurden im Sinne der Anklage schuldig gesprochen. Die Mutter des Buben wurde zu einer Freiheitsstrafe in der Höhe von 20 Jahren verurteilt. Die Hauptfrage nach versuchtem Mord wurde von sieben der acht Geschworenen bejaht, die beiden weiteren Punkte einstimmig.

Die Freundin, die der Mutter Anweisungen zur Bestrafung des Buben gegeben haben soll, wurde wegen fortgesetzter Gewaltausübung als Beitrags- oder Bestimmungstäterin belangt und zu einer Freiheitsstrafe von 14 Jahren Haft verurteilt. Hier fiel das Votum der Geschworenen ebenfalls einstimmig aus. Beide Urteile sind nicht rechtskräftig.

Auch Unterbringung für beide Frauen ausgesprochen

Beide Frauen sind laut Entscheidung der Geschworenen zurechnungsfähig, werden aber, weil von ihnen weitere Taten zu befürchten sind, in einem forensisch-therapeutischen Zentrum untergebracht. Die Richterin begründete die Höhe der Strafen damit, dass „die beiden Frauen ein Leben körperlich fast zerstört“ hätten. Auf psychischer Ebene sei der Bub, den es vorher gegeben habe, „auf jeden Fall zur Gänze zerstört“ worden. Die beiden Frauen müssen dem Kind zudem gemeinsam insgesamt 80.000 Euro bezahlen.

Als mildernd gewertet wurden bei der Kindsmutter der bisher ordentliche Lebenswandel, der Beitrag zur Wahrheitsfindung sowie, dass es teils beim Versuch geblieben ist. Als erschwerend erachtet wurden laut der vorsitzenden Richterin das Zusammentreffen dreier Verbrechen, die Tat gegen einen unmündigen Angehörigen sowie die „heimtückische, folterähnliche Vorgehensweise“. Bei der Zweitangeklagten war der bisher ordentliche Lebenswandel ebenfalls ein Milderungsgrund, auf der Gegenseite wurde auch hier die heimtückische Tatbegehung ins Treffen geführt.

Die Staatsanwaltschaft verzichtete auf Rechtsmittel, Opferanwalt Timo Ruisinger gab ebenso wie Astrid Wagner, die Verteidigerin der Mutter, keine Erklärung ab. Sascha Flatz, Anwalt der Zweitangeklagten, meldete umgehend Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung an.

Schwurgerichtssaal in Krems
ORF/Anna Wohlmuth
Die Beratungen der Geschworenen dauerten mehr als sieben Stunden

Staatsanwältin betont Ausmaß des Falles

In ihrem Schlussvortrag wandte sich die Staatsanwältin an die Geschworenen: „Haben die beiden Angeklagten ein zwölfjähriges Kind beinahe zu Tode gequält?“ Sie ergänzte: „Mediziner waren überrascht, dass der Bub die Kraft hatte, das zu überleben.“ Sie wies die Geschworenen darauf hin, dass es Monate gedauert habe, bis die Ermittlungsbehörde das volle Ausmaß dieses Falles erkannt habe, und hoffte, dass es „den beiden nicht gelungen ist“, die Geschworenen „zu täuschen“.

Die beiden Frauen hätten den Buben „zerstört – zumindest seelisch“, sagte die Staatsanwältin. Die Kindsmutter habe auch den Tod des damals Zwölfjährigen in Kauf genommen. Opferanwalt Timo Ruisinger vermisste bei beiden Angeklagten echte Reue. Das heute 13-jährige Opfer wisse vom heutigen Prozesstag und wünsche sich Gerechtigkeit. Die von ihm am ersten Prozesstag erhoffte Antwort auf die Frage nach dem Warum habe es in diesen drei Verhandlungstagen „nicht gegeben“.

Verteidigung: „Einer der schwierigsten Fälle“

Die beiden Verteidiger fassten die Verantwortungen ihrer Mandantinnen noch einmal zusammen: Vom versuchten Mord distanzierte sich die Mutter des Buben, bekannte sich aber dazu, ihr Kind gequält und eingesperrt zu haben. Die mutmaßliche Komplizin zeigte sich nicht geständig im Sinne der Anklage – ihr wurde fortgesetzte Gewaltausübung vorgeworfen.

„Es ist einer der schwierigsten Fälle, die man sich vorstellen kann. Es ist eigentlich ein Jahrhundertfall“, führte Astrid Wagner, die Verteidigerin der Mutter, in ihrem Plädoyer aus. Ihre Mandantin habe in „verzerrter Wahrnehmung“ nicht erkannt, dass das Kind in Lebensgefahr war. Versuchter Mord liege daher nicht vor. Der Anwalt der Zweitangeklagten, Sascha Flatz, sagte: „Ich bin überzeugt davon, dass meine Mandantin nicht wusste, dass das in der Form stattfindet.“ Die 40-Jährige habe dem Kind mit ihrem Einschreiten vielmehr sogar das Leben gerettet.

Angeklagte Prozess Hundebox
ORF/Anna Wohlmuth
Der dreitägige Prozess endete am Donnerstagabend mit zwei Schuldsprüchen

„Wer steckt hinter diesen Persönlichkeiten?“

An den ersten beiden Verhandlungstagen am Montag und Dienstag bekamen Prozessbeobachter Einblicke in das unvorstellbare Leiden des Buben: Chatprotokolle der beiden Angeklagten wurden verlesen und Videos vorgespielt, die das gequälte Kind zeigen – aufgenommen und per Handy verschickt von der eigenen Mutter.

„Wer sind diese Frauen und wer steckt hinter diesen Persönlichkeiten, die es schaffen, einem Kind so etwas anzutun?“, fragte die Staatsanwältin zum Prozessauftakt. Um darauf Antworten zu finden, kam am dritten und letzten Verhandlungstag noch Gerichtspsychiater Peter Hofmann zu Wort. In dem von ihm erstellten psychiatrischen Gutachten wird der 33 Jahre alten Mutter eine „schwerwiegende und nachhaltige psychische Störung“ attestiert.

Gutachter sieht „schwere emotionale Störung“ der Mutter

Er sprach von einem hochkomplexen Verfahren und schilderte markante Eckpunkte im Leben der Mutter des Buben, etwa als sie 2019 durch den Tod ihrer eigenen Mutter eine wichtige Stütze in ihrem Leben verlor. Krankhafte Züge seien in den Jahren danach immer mehr in den Vordergrund getreten.

Zum Tatzeitpunkt könne er der Angeklagten Zurechnungsfähigkeit attestieren, die Frau habe auch „nicht unter einem Wahninhalt“ gehandelt. Die Steuerungsfähigkeit sei im Tatzeitraum zwar erheblich eingeschränkt, jedoch nicht aufgehoben gewesen. Vorliegend war laut Hofmann bei der Mutter zudem eine „schwere emotionale Störung“, die 33-Jährige habe „kein Empfinden mehr für die Absurdität dieser Situation“ gehabt. Der Sachverständige sprach von einer „monströsen kriminellen Handlung über langen Zeitraum“. Es bestehe eine große Wahrscheinlichkeit dafür, dass die 33-Jährige in absehbarer Zeit erneut schwere Körperverletzungsdelikte begehen werde.

„Innerlich große Abgründe“ und „mangelnde Empathie“

Ähnlich verhält es sich in Sachen Gefährlichkeit mit der 40-jährigen möglichen Komplizin. Die Beschuldigte sei aber stets zurechnungsfähig gewesen, konstatierte Hofmann. Falls sich die Zweitangeklagte tatsächlich wie in der Anklage vorgeworfen verhalten hat, deute das eindeutig auf „innerlich große Abgründe“ und „mangelnde Empathie“ hin. Für beide Frauen beantragte die Staatsanwaltschaft Krems zusätzlich zum Strafausspruch eine Unterbringung in einem forensisch-therapeutischen Zentrum gemäß Paragraf 21 Absatz zwei Strafgesetzbuch.

Die Aussagen der beiden Angeklagten hatten einander im Prozessverlauf in vielen Teilen widersprochen. Am Donnerstag zeigte sich die Mutter zerknirscht und gab an, dass ihr „schrecklich leid tut, was passiert ist“. Sie wisse nicht, „wie es so weit kommen hat können“, und bereute die Kontaktaufnahme mit der Zweitangeklagten. Die 40-Jährige wiederum unterstrich, dass ihr das gesamte Ausmaß der Handlungen nicht bewusst gewesen sei.

„Warum sollten wir Ihnen noch ein Wort glauben?“

„Den Fehler kann ich leider nicht mehr rückgängig machen, ich hätte da selber eingreifen müssen.“ Sie entschuldigte sich unter Tränen beim heute 13-Jährigen und bei dessen Vater. Die Staatsanwältin ortete bei der 40-Jährigen indes widersprüchliche Aussagen. „Warum sollten wir Ihnen noch ein Wort glauben?“, stellte die Vertreterin der Anklagebehörde in den Raum.

Vorgeworfen wird der 33-jährigen Mutter und Alleinerzieherin, dass sie ihren Sohn zumindest von Juli bis November 2022 u. a. geschlagen, gefesselt, geknebelt und ihn wiederholt über Stunden in eine Hundebox eingesperrt und mit kaltem Wasser übergossen haben soll. Zudem soll sie das Kind hungern haben lassen.

Festgenommen wurde die Frau am 24. November 2022. Anfang März 2023 klickten dann für die 40-jährige mögliche Komplizin die Handschellen. Sie und die Kindesmutter waren über Jahre hinweg sozusagen beste Freundinnen. Die Waldviertlerin soll der Erstangeklagten darüber hinaus wiederholt detailreiche Anweisungen zur Misshandlung des Kindes gegeben haben. Auch der Vorschlag, den Buben in die Hundebox zu sperren, soll von der 40-Jährigen gekommen sein. Von der Frau wurde das allerdings bestritten.

Opferanwalt nimmt Behörde in die Pflicht

Während für die beiden Frauen in diesem Schwurgerichtsprozess am Donnerstag die Urteile fielen, bleibt für Opferanwalt Timo Ruisinger – nach Schilderungen der im Oktober 2022 alarmierten Sozialarbeiter – allerdings die Frage offen, „ob die Behörde in diesem Fall wirklich alles in ihrer Macht Stehende getan hat, um das Kind zu schützen“.