Wissenschaft

Skigebiete: Lehren aus St. Corona gefragt

Vor zehn Jahren hat das Skigebiet St. Corona/Wechsel (Bez. Neunkirchen) vom reinen Skitourismus auf Ganzjahresprogramm umgestellt. In der Wissenschaft gilt St. Corona als wirtschaftliches Musterbeispiel. Die Erfahrungen werden nun von einem EU-Projekt erforscht.

Seit vergangenem Freitag stehen in St. Corona am Wechsel die beiden Schlepplifte still. Eigentlich hätte die Saison noch eine Woche länger dauern sollen, doch die braunen Flecken setzten sich durch. Schuld daran ist der wärmste Februar der Messgeschichte.

Von den Klimaveränderungen sind Skigebiete von Kranjska Gora in Slowenien bis Megève in Frankreich gleichermaßen betroffen. Insgesamt zehn Wintersportdestinationen aus fünf Ländern nehmen darum am EU-finanzierten Projekt „Transtat“ teil, das die Erfahrungen von Wintersportorten im Klimawandel wissenschaftlich drei Jahre lang begleitet.

Rezeptbuch für Wintersportorte

„Am Ende des Projekts soll eine Art Rezeptbuch, wie ein Kochbuch, entstehen, sodass auch andere Orte von den Erfahrungen profitieren können“, erklärt Leonie Hasenauer vom Institut für interdisziplinäre Gebirgsforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Die Geografin ist eine von vielen Wissenschaftlerinnen, Tourismusvertretern und Politikerinnen, die gemeinsam Wege und Methoden suchen, um Skigebiete in niedrigeren Lagen fit für den Klimawandel zu machen. Für Österreich nehmen der Biosphärenpark Großes Walsertal in Vorarlberg und St. Corona am Wechsel an „Transtat“ teil.

„In gewisser Weise ist St. Corona sicher ein Vorbild für andere Destinationen“, sagt Hasenauer. Das Skigebiet am Wechsel sei besonders flexibel. Wenn die Schneelage sehr schlecht sei, dann könne rasch das Angebot für Mountainbiker, Familien und sogar Sommerrodler geöffnet werden – mehr dazu auch in Frühlingswetter: Sommerrodeln zu Silvester (noe.ORF.at; 29.12.2022).

Skipiste St. Corona am Wechsel und Motorikpark
ORF/Tobias Mayr
Links Skibetrieb, rechts Motorikpark: Das vielseitige Angebot gilt in der Wissenschaft als wegweisend.

Plan B führt zum Erfolg

„Hier hat in der Vergangenheit ein Wandlungsprozess stattgefunden, der steht anderen noch bevor“, bestätigt Hasenauer. Begonnen hat dieser Prozess in St. Corona 2014 mit der wegweisenden Entscheidung, den Sessellift aus den 1960er Jahren nicht zu modernisieren, sondern rückzubauen. „Das war ja doch ein ungewöhnlicher Zugang, dass man sagt, man geht ziemlich radikal raus aus der Logik des Skigebiets und hinein in die Logik, ganzjährig ein Zentrum zu sein für Familien mit kleineren Kindern“, erinnert sich der Geschäftsführer von Ecoplus Alpin, Markus Redl.

Dabei war die Vision einer Ganzjahressportdestination eigentlich nur Plan B. „Wir wollten ursprünglich das Skigebiet ganz konventionell erneuern“, sagt Redl, sprich: Der Sessellift sollte neu gebaut werden. Doch die Kosten sprengten den Budgetrahmen. Darum habe man sich „etwas Kreatives“ einfallen lassen müssen.

Kein Copy-Paste: Herausforderungen individuell

Entstanden ist gemeinsam mit lokalen Entwicklern ein Ganzjahressportangebot, bestehend aus u. a. Motorikpark, Sommerrodelbahn, Wanderwegen und 200 Kilometern Mountainbikestrecken. Sobald der Winterbetrieb eingestellt ist, rücken die Bagger an, um den Schnee wegzuschaffen. Kurze Zeit später können die Schlepplifte als Aufstiegshilfen für Mountainbiker genutzt werden. 250.000 Gäste nutzen dieses Angebot jährlich.

So oder so ähnlich wollen auch andere Wintersportorte im Alpenraum ihr Angebot diversifizieren, es gäbe jedoch kein Copy-Paste-Konzept, betont Hasenauer. Jede Wintersportregion bringe andere Voraussetzungen und Potenziale mit, sagt sie. Wichtig sei, dass überhaupt neu gedacht werde – und dass die lokale Bevölkerung dabei ein Mitspracherecht hat.

Fotostrecke mit 4 Bildern

Skipiste St. Corona am Wechsel
ORF/Tobias Mayr
Sobald der letzte Schnee geschmolzen ist, können die Mountainbiketrails unter der Piste benutzt werden
Skigebiet St. Corona am Wechsel
ORF/Tobias Mayr
Der Schlepplift kann auch als Aufstiegshilfe für Mountainbiker verwendet werden
Motorikpark St. Corona
ORF/Tobias Mayr
Der Motorikpark hat bereits seit Februar geöffnet…
Sommerrodelbahn St. Corona am Wechsel
ORF/Tobias Mayr
…die Sommerrodelbahn soll zu Ostern aufsperren.

Redl: Wintersport ohne Schnee „vorstellbar“

„Wenn die Leute selber daran arbeiten, dann übernehmen sie sicher auch ganz anders Verantwortung“, meint Hasenauer. In Workshops unterstützen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die lokalen Interessenvertreter bei der Entwicklung einer neuen Vision. Auch in St. Corona finden solche Workshops statt. „Wir sehen schon auch, man ist nie fertig mit der Entwicklung“, meint Redl.

Irgendwann könnte auch ein Wintersportbetrieb ganz ohne Schnee möglich sein, meint der Ecoplus-Alpin-Geschäftsführer: „Natürlich ist es vorstellbar, dass es irgendwann einmal gar keinen Schnee mehr geben kann.“ Für die kommenden Jahre und Jahrzehnte rechnet Redl noch mit einer großen Nachfrage nach dem Skisport, jedoch mit stetig steigender Konkurrenz durch Mountainbiking und Co.