Beratung in einem Kinderschutzzentrum
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Chronik

Kind in Hundebox: Kommissionsbericht liegt vor

Im Fall um einen nun 13-Jährigen, der von seiner Mutter im Waldviertel in eine Hundebox gesperrt und gepeinigt worden sein soll, ist am Dienstag der Bericht der Expertengruppe vorgelegt worden. Sieben allgemeine Empfehlungen sind das Ergebnis.

Gefolgert wurden die Empfehlungen aus einem hypothetischen Sachverhalt, mit dem man sich dem Fall näherte. Eine neuerliche Prüfung der Causa soll laut Landesrätin Ulrike Königsberger-Ludwig (SPÖ) „möglichst schnell“ abgeschlossen sein.

Als wichtigste Empfehlung der Expertengruppe gilt, dass Datenschutz und berufsrechtliche Verschwiegenheitsverpflichtungen niemals den Austausch des Wissens im Interesse des Kinderschutzes blockieren dürften. Hier seien die vorhandenen Rechtsvorschriften auf Bundes- und Landesebene zu überprüfen. „Der Datenschutz darf den Kinderschutz nicht ausbremsen“, konkretisierte Königsberger-Ludwig am Dienstag im APA-Gespräch.

Ständige Kinderschutzkommission wird empfohlen

Angeregt wurde auch, eine ständige NÖ Kinderschutzkommission einzurichten, bestehend u.a. aus Landes-externen Expertinnen und Experten. Es müsse kontinuierlich an einer gemeinsamen Entwicklung aller Institutionen im Kinderschutz gearbeitet werden, zudem brauche es laufende fachliche Evaluierung, hieß es in der Begründung.

Die permanente Kommission soll turnusmäßig zusammentreten und sich beispielsweise gesellschaftlichen Entwicklungen, Schwerpunkten und Veränderungen widmen, skizzierte die SPÖ-Landesrätin. Eine solche Einrichtung sei auf Bundesebene „schon lange“ gefordert worden. Niederösterreich sei das erste Bundesland, das in die Umsetzung kommen wird.

Alle in Fälle involvierten Personen vernetzen

Nötig ist laut der Expertengruppe weiters eine „multiprofessionelle Zusammenarbeit und Teamarbeit“, um ein umfassendes Bild der Gesamtsituation zu erlangen. Empfehlenswert – im Sinne der optimalen Vernetzung und Kooperation – sei, dass sich Systeme regelmäßig auch außerhalb einer konkreten Krisenbewältigung austauschen. Kommunikation gelinge so besser, bei konkreten Fällen entwickle sich zudem eine „gemeinsame Verantwortung der unterschiedlichen Zuständigkeitsbereiche“. Weiters brauche es systemübergreifende Arbeitsgruppen, damit sich die Vorgaben von diversen Institutionen verzahnen könnten.

Darüber hinaus sei Dokumentation ein „wesentlicher Baustein des Kinderschutzes“ und Mittel zur Qualitätssicherung. Sie solle in jeder Organisation verpflichtend sein, auch dort, wo Kinderschutz nicht die Kernkompetenz darstelle. „Während du dokumentierst, reflektierst du. Und es wird nachvollziehbarer“, betonte Gabriela Peterschofsky-Orange, die Vorsitzende der Kommission. Besonders wichtig sei zudem die Etablierung und Einhaltung des Vier-Augen-Prinzips. Auch das Thema des gesellschaftlichen Informationsbedürfnisses wurde von den Experten behandelt. Auskunft solle generell „professionell, zeitnah und ohne Verletzung von Persönlichkeitsrechten“ erfolgen, stets müsse dem Kinderschutz dabei Rechnung getragen werden.

Kommission bemängelt erschwerte Zugänge zu Daten

Laut den Expertinnen und Experten stellten sich von Beginn ihrer Tätigkeit an verschiedene Rechtsvorgaben der beteiligten Institutionen Kinder- und Jugendhilfe, Bildung und Gesundheit als erschwerend dar. Die Kommission sei daher rasch an die Grenzen des inhaltlichen Austausches über den Anlassfall gestoßen. „Es war nicht möglich, die Dokumentationen der anderen Systeme einzusehen“, sagte Königsberger-Ludwig. Insbesondere die Bestimmungen des Datenschutzes und der berufsrechtlichen Verschwiegenheiten seien eine Herausforderung gewesen, wurde am Dienstag betont.

Aktenberg im Bezirksgericht
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Einer der Kritikpunkte: Obwohl vieles dokumentiert wird, fehlt im Kinderschutz oft die nötige Einsicht und Vernetzung

„Trotz Verschwiegenheitserklärung aller Kommissionsmitglieder war es im Rahmen der weiteren Arbeit der Kommission daher nur möglich, fallunabhängig Verbesserungsmöglichkeiten vorzuschlagen“, hieß es. Rahmenbildend für die erfolgte Analyse war daher ein hypothetischer Sachverhalt, aufbereitet aus allen öffentlich zugänglichen Informationen – „auf einer Meta-Ebene“, wie es Königsberger-Ludwig ausdrückte. „Wir sind mit den Empfehlungen sehr zufrieden, es war eine sehr fruchtbare Arbeit“, sagte Peterschofsky-Orange dazu. Im Vordergrund sei letztlich der Blick in die Zukunft gestanden, auf den konkreten Sachverhalt bezogen sei man ohnehin „nicht das bessere Gericht“.

Unterstrichen wurde von der unabhängigen Kommission zusammenfassend, dass aufgrund der verfassungsrechtlichen Kompetenztatbestände Kinderschutz in Institutionen jeweils separat stattfände, aber nicht als Zusammenschluss von rechtlichen Regelungen, staatlichen und privaten Maßnahmen. Genau dieses Wissen über Möglichkeiten anderer Systeme sei aber für das jeweils eigene Handeln „äußerst wichtig“.

Ergebnisse werden auch Landesregierung vorgelegt

Kritisch sehen die Experten zudem, wenn detailgenaue Informationen über Personen in die Öffentlichkeit gelangen, insbesondere, wenn ein Kind in einen Fall involviert ist. Kinder hätten das Recht auf eine Zukunft ohne ungewollt immer wieder mit ihrer Vergangenheit konfrontiert zu werden. Daher müsse Kinderschutz auch in der medialen Berichterstattung, beispielsweise in Ethikrichtlinien, beachtet werden.

Über die Ergebnisse des Berichts wurden am Dienstag auch die Mitglieder der niederösterreichischen Landesregierung informiert. Ein Beschluss sei nicht gefasst worden, es gebe aber ein „einstimmiges Commitment, dass wir in allen Punkten den Empfehlungen der Kommission nachgehen werden. Wir werden mit diesen Ergebnissen weiterarbeiten“, kündigte Königsberger-Ludwig an.

Hundebox
APA/CHRISTOPHER ECKL
Jener Bub, der von seiner Mutter fast zu Tode gequält worden und u.a. in eine Hundebox gesperrt worden sein soll, war Anlass zur Einrichtung der Kommission

Die Kommission war im Sommer 2023 eingesetzt worden, nachdem in dem Fall medial Behördenkritik geäußert worden war. Vorsitzende der Expertengruppe war die NÖ Kinder- und Jugendanwältin Peterschofsky-Orange. Weitere Mitglieder waren Hedwig Wölfl, Geschäftsführerin der Kinderschutzorganisation „möwe“, Kinder- und Jugendpsychiater Paulus Hochgatterer sowie insgesamt drei Mitarbeiter von Kinder-und Jugendhilfe, Bildungsdirektion und von der Landesgesundheitsagentur. Die unabhängige Kommission „Kinderschutz“ wurde insbesondere damit beauftragt, Schnittstellen, Prozesse und Rechtsvorschriften zu prüfen sowie etwaige Empfehlungen abzugeben, wie Kinderschutz systemübergreifend bestmöglich sichergestellt werden kann.

Peterschofsky-Orange räumte am Dienstag ein, dass der Anlassfall „zutiefst betroffen“ mache. Wichtig sei generell vor allem „der gelebte Kinderschutz“, Kinderrechte sollten Baustein und Grund bilden. Es brauche außerdem „Sensibilisierung auf den Vorrang des Kinderschutzes“. Zur Tätigkeit der Kommission betonte Peterschofsky-Orange: „Wir können mit dem, was wir erarbeitet haben, einen Anstoß geben. Aber mehr kann es nicht sein, auch der Zeitspanne geschuldet.“

Tragischer Fall als Ausgangspunkt für Untersuchungen

Der Anlassfall und damit die zumindest von Juli 2022 an verübten Misshandlungen des damals zwölfjährigen Buben im Waldviertel waren in der vergangenen Woche Thema eines dreitägigen Geschworenverfahrens in Krems. Beleuchtet wurde im Prozessverlauf auch die Rolle der Kinder- und Jugendhilfe. Nach zwei Gefährdungsmeldungen gab es am 28. Oktober und am 18. November 2022 (vier Tage, bevor das Kind ins Koma fiel) unangekündigte Hausbesuche bei Mutter und Sohn. Geortet wurden zwar Auffälligkeiten, es wurde aber keine Veranlassung für eine sogenannte Gefahr-im-Verzug-Maßnahme gesehen. Die Kinder- und Jugendhilfe betonte im Vorjahr, dass eine sofortige Prüfung der internen Abläufe nach Bekanntwerden des Falls ergeben habe, dass „alle rechtlichen und fachlichen Vorgaben eingehalten wurden“.

In der Vorwoche wurde dann aus dem Büro von Königsberger-Ludwig bekannt, dass eine neuerliche Prüfung des Falls veranlasst worden sei. Grund seien neue, aus dem Gerichtsverfahren bekannt gewordene Details, die sich in der bisherigen Aktenlage nicht abgebildet hätten. Möglichen Diskrepanzen zwischen Dokumentationsmaterial und den tatsächlichen Aussagen zweier Sozialarbeiter vor Gericht soll auf den Grund gegangen werden. Untersucht werde nun neuerlich von der Fachaufsicht des Landes, „ob alle rechtlichen und fachlichen Standards“ eingehalten wurden, kündigte Königsberger-Ludwig an. In dieser Hinsicht sei das Landesgericht Krems im Wege eines Amtshilfeersuchens um die Übermittlung des Prozessprotokolls ersucht worden. „Es ist mir wirklich an restloser Aufklärung gelegen“, versicherte die Landesrätin.

Prozess endete kürzlich mit zwei Schuldsprüchen

Im Geschworenenprozess vorgeworfen wurde der angeklagten 33-jährigen Mutter und Alleinerzieherin, dass sie ihren Sohn geschlagen, gefesselt, geknebelt und ihn wiederholt über Stunden in eine Hundebox eingesperrt haben soll. Am 22. November 2022 war das Kind in akut lebensbedrohlichem Zustand. Der Zwölfjährige überlebte wegen des Einschreitens einer Sozialarbeiterin, die der Familie aufgrund einer Beratung bekannt war. Als Komplizin und Einsagerin der Kindsmutter soll eine damalige Freundin der Waldviertlerin fungiert haben.

Für die 33-jährige Hauptbeschuldigte setzte es am Donnerstag 20 Jahre Haft wegen versuchten Mordes, Quälens oder Vernachlässigens unmündiger, jüngerer oder wehrloser Personen sowie wegen Freiheitsentziehung. Ihre ehemalige Freundin muss wegen fortgesetzter Gewaltausübung als Beitrags- oder Bestimmungstäterin 14 Jahre in Haft. In beiden Fällen wurde zudem die Unterbringung in einem forensisch-therapeutischen Zentrum ausgesprochen. Die Entscheidungen sind nicht rechtskräftig, seitens der Verteidigung wurde mittlerweile für beide Angeklagten Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung angemeldet.

Das Kind lebt nun bei seinem Vater, der das alleinige Sorgerecht hat. Dem Buben geht es körperlich wieder gut. Eine Gutachterin sah aber die „Wahrscheinlichkeit stark erhöht, dass er zukünftig in seiner Persönlichkeit verformt bleiben wird“ – mehr dazu in „Bub in Hundebox: Prozess endet mit zwei Schuldsprüchen“ (noe.ORF.at; 29.2.2023).

Opferanwalt spricht von „enttäuschendem Ergebnis“

Opferanwalt Timo Ruisinger behält sich in der Causa indes weitere rechtliche Schritte vor. Auch eine Amtshaftungsklage schließt er nicht aus, unterstrich der Jurist am Dienstag auf APA-Anfrage. In den kommenden Wochen soll das Land mit den etwaigen Vorwürfen konfrontiert werden, kündigte Ruisinger an.

Den am Dienstag präsentierten Bericht der Kommission sah der Jurist kritisch. „Ich kenne das Ergebnis des Berichts noch nicht im Detail. Von dem was mir bekannt ist, kann ich sagen, dass das Ergebnis enttäuschend ist“, hielt Ruisinger in einer der APA übermittelten Stellungnahme fest. „Die Kommission hatte den Auftrag den konkreten Einzelfall, also diese Causa und den gesamten Verlauf zu durchleuchten. Offenbar war es relativ bald klar, dass insbesondere aufgrund des Datenschutzes dieses Ziel nicht umsetzbar war. Es ist zu hinterfragen, weshalb es dann Wochen bzw. Monate gedauert hat, dieses Nichtergebnis zu präsentieren. Ich glaube, dass der Ausgang des Prozesses gegen die Kindesmutter bzw. deren Freundin abgewartet werden sollte bevor die Öffentlichkeit informiert wird.“