Frau auf Jobsuche im Arbeitsamt
ORF.at/Julia Hammerle
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Chronik

Hindernisse für Geflüchtete am Arbeitsmarkt

Tausende Geflüchtete aus der Ukraine leben seit zwei Jahren in Niederösterreich. Doch auf dem Arbeitsmarkt konnten bisher nur wenige Fuß fassen. Laut Experten liegt das auch an den strengen Regeln der Grundversorgung. Das Land will daran aber weiter festhalten.

Seit November 2022 lebt Alina Zipir in der Notunterkunft von SOS Kinderdorf in der Hinterbrühl (Bezirk Mödling). Gemeinsam mit ihrem Sohn und ihrer Mutter floh die gelernte Pädagogin und Logopädin vor dem russischen Angriff auf ihre Heimat in der Nähe der umkämpften Region Saporischja.

Derzeit lernt Zipir Deutsch, doch sie war zögerlich, einen Job anzunehmen, vor allem weil sie meist schlecht bezahlt sind: „Bekannte, die eine ähnliche Ausbildung haben, gehen jetzt aufräumen oder putzen, aber wenn sich bis zum Sommer nichts ändert, werde ich mich auch in diese Richtung bewegen und vielleicht probieren, im Hotel zu arbeiten.“

Zuverdienst strikt geregelt

Gleichzeitig darf die zweifache Mutter in der Grundversorgung nur minimal dazuverdienen, sonst verliert sie die gesamten Unterstützungsleistungen wie finanzielle Zuschüsse oder Unterkunft. Die Grenze liegt in Niederösterreich bisher bei 110 Euro, pro Kind darf man weitere 80 Euro pro Monat verdienen. „Das ist nicht viel und so kann man wahrscheinlich auch keine Wohnung finanzieren.“

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Alina Zipir (m.) lernt derzeit Deutsch. Die Chance, einen ihrer Ausbildung entsprechenden Job zu finden, sieht sie als gering

So wie Alina Zipir geht es auch vielen anderen in der Unterkunft, erzählt Barbara Göschl, die pädagogische Leiterin der Ukraine-Nothilfe bei SOS Kinderdorf, „daher gibt es hier eine große Unsicherheit für Ukrainer und deshalb wird auch sehr vage damit umgegangen, überhaupt einen Job anzunehmen, weil es vielleicht eine Probezeit gibt, und wenn man den Job dann verliert, steht man auf der Straße“.

Um dann eine neue Wohnung zu bekommen, braucht man oft erst recht wieder einen Job, erzählt Galyna Lysak, die mit ihrer 81-jährigen Mutter nach Niederösterreich geflüchtet ist: „Es wird etwa vorausgesetzt, dass ich mindestens drei Monate gearbeitet habe, damit der Mietvertrag für längere Zeit abgeschlossen wird.“

Dilemma der Mütter

Göschl erzählt auch von einem Mann, der wegen des Urlaubsgeldes über die Zuverdienstgrenze kam und dann die Grundversorgung zurückzahlen musste. Schwierig sei die Situation auch für Mütter, die wegen der Kinder oft nur einen Teilzeitjob annehmen können – und dann für die Grundversorgung zu viel verdienen, aber zu wenig, um finanziell auf eigenen Beinen stehen zu können.

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Die fehlende Kinderbetreuung spielt für Mütter neben sprachlichen und gesundheitlichen Problemen oft eine große Rolle

In Niederösterreich haben derzeit 11.900 Ukrainerinnen und Ukrainer einen Wohnsitz gemeldet, zwei Drittel sind davon Frauen. Im erwerbsfähigen Alter zwischen 18 und 65 Jahren befinden sich laut Zahlen des Landes 6.800 Geflüchtete, wobei nicht alle auch tatsächlich arbeiten können. Neben Sprachproblemen und fehlender Kinderbetreuung spielen auch gesundheitliche Probleme eine Rolle.

Im Gegensatz dazu konnten bisher 2.011 Menschen einen Job finden – auch wenn viele Tätigkeiten ausführen, die nicht ihrer Ausbildung entsprechen und oft auch schlechter bezahlt sind. Beim AMS Niederösterreich haben sich seit 2022 945 Vertriebene als arbeitslos gemeldet, 194 konnten erfolgreich in einen Job vermittelt werden.

Experte fordert Übergangsfrist

Um die Ukrainerinnen und Ukrainer am Arbeitsmarkt besser zu integrieren, fordern sowohl SOS Kinderdorf als auch auch Flüchtlingskoordinator Andreas Achrainer flexiblere Lösungen beim Zuverdienst, wie in anderen Bundesländern. Ein Beispiel sei laut dem Experten etwa eine Übergangsfrist, „während der ich noch etwa drei, vier Monate im organisierten Quartier bleiben kann und die Möglichkeit habe, Geld für die Kaution anzusparen, oder auch schauen kann, ob ich überhaupt in dieser Arbeitsstelle bleibe – Stichwort Probezeit“.

In diesem Bereich müsse man „flexibler werden und diese Lösung der Zuverdienstgrenzen wäre zumindest der erste Weg dorthin“, ergänzt Achrainer, der im Brotberuf Chef der Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen (BBU) ist. Denn die Grundversorgung sei immer nur für das Erstankommen von Asylwerbern und nicht für Vertriebene gedacht gewesen, die im Land integriert werden sollen.

Arbeitssuchende bein Ausfüllen eines Formulares in einer Geschäftsstelle des AMS
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Beim AMS Niederösterreich haben sich seit Ausbruch des Krieges nur knapp 1.000 Geflüchtete als arbeitlos gemeldet

Ziel sei es, die Menschen in den Arbeitsmarkt zu bringen, stellt Achrainer klar. Wenn die Betroffenen damit aber sofort alle Leistungen verlieren, „dann überlegt man sich das und hält eher an dem fest, was man hat“. Die Menschen rutschen dadurch aber in eine Inaktivitätsfalle, die sich laut Achrainer nur dadurch auflöst, „indem ich ein flexibleres System anwende“.

Dauerhafter Aufenthaltstitel

Als weiteres Hemmnis nennt Achrainer den Vertriebenenstatus, der immer nur von März bis März um jeweils ein Jahr verlängert werde. Deshalb brauche es einen dauerhaften Aufenthaltstitel. Für diese Bleibeperspektive, sobald die Arbeitsmarktaufnahme für eine gewisse Zeit geschafft sei, gebe es auch positive Signale von der Bundesregierung.

Langfristig brauche es auch eine soziale Absicherung, etwa indem Vertriebene von der Grundversorgung in die Sozialhilfe überführt werden. Das biete auch den Vorteil, „dass man Zugriff auf die Personen hat, denn mit der Sozialleistung sind auch Verantwortungen verbunden, ich muss mich regelmäßig beim AMS melden, man bleibt in Kontakt, man hat gewisse Auflagen, um in dieses selbstbestimmte Leben hineinbegleitet zu werden“.

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Landesrat Christoph Luisser sieht derzeit „keine Notwendigkeit, die Möglichkeiten zur Arbeitsmarktintegration zu erweitern“

Landesrat gegen Lockerungen

In Niederösterreich schließt man beide Forderungen aber aus. Der zuständige Landesrat Christoph Luisser (FPÖ) teilt schriftlich mit: „Es besteht momentan keine Notwendigkeit, die bereits vorhandenen Möglichkeiten zur Arbeitsmarktintegration zu erweitern. Die erfolgreiche Aufnahme einer Erwerbstätigkeit durch viele ukrainische Vertriebene zeigt, dass ein selbstbestimmtes Leben, unabhängig von Sozialleistungen, in Österreich möglich ist.“

Dieser Integrationsweg sei zwar herausfordernd, „doch diejenigen, die es geschafft haben, tragen zur Entlastung der österreichischen Steuerzahler bei“. Außerdem erwartet das Land, dass die meisten Vertriebenen in ihre Heimat zurückkehren werden. „Daher halten wir Maßnahmen, die darauf abzielen, Personen, die nicht dauerhaft in Österreich bleiben möchten oder können, im Land zu halten, für kontraproduktiv“, wird Luisser weiter zitiert.

Auch Alina Zipir wünscht sich möglichst bald in ihre Heimat zurückkehren zu können. Bis dahin blickt sie aber in eine ungewisse Zukunft. Für die Hilfe, die sie seit ihrer Flucht vor zwei Jahren in ihrer nun zweiten Heimat bekommen hat, möchte sie allen Helferinnen und Helfern sagen: „Danke, Österreich.“