100 Jahre NÖ Anschluss 1938 Amstetten St. Pölten Krems
Stadtarchiv Amstetten
Stadtarchiv Amstetten
„100 Jahre NÖ“

„Niederösterreich grüßt seinen Führer“

Der Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich im März 1938 hat den Untergang der Republik bedeutet. Auf seinem Triumphzug nach Wien wurde Adolf Hitler in den Städten und Dörfern bejubelt. In Amstetten musste der Aufmarsch sogar wiederholt werden.

Dicht gedrängt warteten am 13. März 1938 Tausende Menschen am Amstettner Hauptplatz auf den „Führer“. Die Organisatoren wollten Adolf Hitler einen unvergesslichen Empfang bereiten, erzählt Stadthistoriker Thomas Buchner: „Aus der ganzen Region wurden Menschen mit Bussen und Zügen herbeigekarrt, Schulen und Betriebe waren geschlossen und die Menschen wurden ermutigt, den Führer zu begrüßen.“

Doch Hitler hatte kurzfristig andere Pläne und blieb einen Tag länger in Linz als geplant. Für die Organisatoren in Amstetten war das zwar „sehr unangenehm“, sagt Buchner, „weil man ein ordentliches Räderwerk in Gang gesetzt hatte“. Doch für Hitler wurde der gesamte Aufwand kurzerhand am nächsten Tag wiederholt.

Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich

Stundenlanges Warten auf den „Gott“

Die Euphorie war trotzdem ungebrochen. „Niederösterreich grüßt seinen Führer“ stand auf einem Transparent, auf einem anderen: „Ein Volk, ein Reich, ein Führer.“ Eine Zeitzeugin schilderte ihre Erinnerungen so, „dass sie auf dem Hauptplatz stundenlang gewartet habe, auf den Gott“, so Buchner. Manche hatten sich sogar mit Spiegeln ausgestattet, um über die Köpfe der Menschen hinweg Hitler sehen zu können. „In vielen Fällen war es vor allem die Neugierde“, meint der Historiker.

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100 Jahre NÖ Anschluss 1938 Amstetten St. Pölten Krems
Mitterdorfer
Eine Aufnahme der Rathausstraße in Amstetten
100 Jahre NÖ Anschluss 1938 Amstetten St. Pölten Krems
Mitterdorfer
NS-Sympathisanten aus der ganzen Region wollten den Führer sehen
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Mitterdorfer
In Spalierform wurde Adolf Hitler in Amstetten empfangen
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Mitterdorfer
Entlang der Straßen drängten sich die Menschen dicht aneinander
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Mitterdorfer
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Stadtarchiv Amstetten
Adolf Hitler fuhr über den Hauptplatz in Amstetten
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Mitterdorfer
In den folgenden Tagen und Wochen vor der Volksabstimmung waren weitere NS-Größen in der Stadt
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Mitterdorfer
Großkundgebung 5. April 1938
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Mitterdorfer
Reichsminister Frick und Reichstatthalter Seyß-Inquart sprechen
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Mitterdorfer
Bürgermeister Mitterdorfer eröffnet die Veranstaltung
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Mitterdorfer
Reichsinnenminister Wilhelm Frick
100 Jahre NÖ Anschluss 1938 Amstetten St. Pölten Krems
Mitterdorfer
Reichsstatthalter Arthur Seyß-Inquart

Die Bilder jubelnder Menschen wurden in weiterer Folge „natürlich propagandistisch ausgeschlachtet“, ergänzt der Stadthistoriker: „Was man nicht sieht, sind all jene Menschen, die zuhause geblieben sind, abgewartet haben und mit Angst der kommenden Zeit entgegengesehen haben.“ Der örtliche NS-Führer und spätere Bürgermeister, Wolfgang Mitterdorfer, durfte als „Trostpflaster“ für die Verspätung mit Hitler danach in St. Pölten Mittag essen.

Anschluss vor Rücktritt

Möglicherweise war das aber auch eine Belohnung dafür, dass der Anschluss in Amstetten bereits vor dem offiziellen Rücktritt von Bundeskanzler Schuschnigg am Abend des 11. März stattfand. Denn schon am Nachmittag nehmen die Nationalsozialisten die bis dahin gesperrte Parteizentrale in Amstetten wieder in Betrieb und am Abend wurde am Hauptplatz ein Fackelzug inszeniert, an dem Tausende Menschen teilnahmen.

Anschluss Österreichs – Einmarsch deutscher Truppen

Die Gendarmerie versuchte zwar noch einzuschreiten, doch laut Buchner war das bereits aussichtslos: „Im Prinzip ist das Ständestaat-Regime vor Ort kollabiert und die Nazis hatten weitgehend leichtes Spiel, die wichtigsten Schalthebel zu übernehmen.“ Noch in der Nacht von 11. auf 12. März 1938 wurden die wichtigsten Bereiche der Exekutive und der Verwaltung in den Dienst der NS-Regierung gestellt. Wolfgang Mitterdorfer übernahm die Leitung der Stadtverwaltung.

Hakenkreuzflagge am Landhaus

Gleichzeitig gab Kurt Schuschnigg dem monatelangen Druck der Nazis nach und verkündete seinen Rücktritt als Bundeskanzler. Damit brachen auch in Niederösterreich die Dämme für Anhängerinnen und Anhänger des Nationalsozialismus. Schon vor dem Einmarsch der Deutschen Wehrmacht übernahmen sie in vielen Städten und Gemeinden die Kontrolle. Auf dem Landhaus Niederösterreichs in Wien wehte bereits die Hakenkreuzflagge.

Als Adolf Hitler am 14. März auf seinem Triumphzug nach Wien die Grenze nach Niederösterreich überquerte, schlug ihm eine Welle der Euphorie entgegen. In Strengberg (Bezirk Amstetten) empfing ihn die Gendarmeriemusik. Laut NS-Presse wurde sein Wagen von den Massen minutenlang umringt, begeistert wurde die deutsche Hymne gesungen. „Niederösterreich ist außer Rand und Band“, schrieb das „Kleine Volksblatt“.

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Karl Wittmann
In Loosdorf wurde Adolf Hitler umjubelt empfangen
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Karl Wittmann
Auch Panzerfahrzeuge rollen durch den Ort
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Karl Wittmann
100 Jahre NÖ Anschluss 1938 Amstetten St. Pölten Krems
Stadtgemeine Purkersdorf
Hitler fährt durch Purkersdorf
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Stadtgemeine Purkersdorf
100 Jahre NÖ Anschluss 1938 Amstetten St. Pölten Krems
Stadtarchiv Gmünd
In Gmünd kam der „Führer“ zwar nicht vorbei, dennoch gab es örtliche Feierlichkeiten
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Stadtarchiv Gmünd
100 Jahre NÖ Anschluss 1938 Amstetten St. Pölten Krems
Stadtarchiv Gmünd
100 Jahre NÖ Anschluss 1938 Amstetten St. Pölten Krems Zwettl
Stadtarchiv Zwettl
NS-Propaganda in Zwettl
100 Jahre NÖ Anschluss 1938 Amstetten St. Pölten Krems Zwettl
Stadtarchiv Zwettl
Kundgebung auf dem Hauptplatz
100 Jahre NÖ Anschluss 1938 Amstetten St. Pölten Krems Zwettl
Stadtarchiv Zwettl
Ein Zimmer in der Kreisleitung der NSDAP Zwettl, Büro des Kreisleiters

Nach der Durchfahrt von Amstetten ging es weiter nach Pöchlarn (Bezirk Melk). Auf einer steilen Kuppe „überblicken wir von hier oben das gesamte Donautal bis hin­über zur Wachau und schauen über dieses kerndeutsche Land mit seiner jahrtausendalten deutschen Geschichte“, hieß es in der Zeitung weiter. Mit Glockenläuten wurde Hitler in Melk empfangen. Auf dem Weg nach St. Pölten musste der „Führer“ – laut Zeitungsberichten wegen der Menschenmassen – mehrmals halten, etwa in Loosdorf (Bezirk Melk).

Mittagsschlaf in St. Pölten

Über Loosdorf ging es für den „Führer“ schließlich nach St. Pölten, wo er um 13.45 Uhr eintraf. Laut Zeitungsberichten warteten dort 4.000 Menschen – dicht gedrängt. Der Landeshauptmann von Niederösterreich und die Gauführung erwarteten Hitler vor dem Hotel Pittner, in dem auch das Geschenk des Gaues Niederösterreich aufgestellt war. Es handelte sich um ein 60-teiliges Service aus Harbach (Bezirk Gmünd). Im Hotel hielt Hitler auch seien Mittagsschlaf.

100 Jahre NÖ Anschluss 1938 St. Pölten
Stadtarchiv St. Pölten
Der St. Pöltner Rathausplatz nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich

Nach dem kurzen Aufenthalt wurde die Fahrt ohne weitere Stopps fortgesetzt. Nachdem Hitler in Purkersdorf (Bezirk St. Pölten) durchgefahren war, erwartete ihn an der Stadtgrenze die Standarte. Zudem stieg Hitler in eine schwarze Limousine um, die ihn ins Zentrum von Wien brachte. Am 15. März verkündete er auf dem Heldenplatz „vor der Geschichte nunmehr den Eintritt meiner Heimat in das Deutsche Reich“.

In Krems musste die Bevölkerung in diesen Tagen hingegen „vergeblich auf den Führer warten“, sagte Historiker Robert Streibel. Immerhin galt die Stadt in den Jahren der Zwischenkriegszeit als Hochburg der Nationalsozialisten. Nach dem Verbot der NSDAP in Österreich 1933 wurde der Gau sogar aus Krems geleitet. Allerdings dürfte sich die Ortspartei ein Jahr zuvor – bei einem Richtungsstreit – auf die falsche Seite gestellt haben, merkt Streibel an.

Neue Landesführung übernimmt

An der Spitze des Landes gab es ebenso Veränderungen. Landeshauptmann-Stellvertreter Julius Kampitsch bekannte sich als Nazi und übernahm die Macht. Nur ein paar Stunden später wurde er aber von Roman Jäger, Rechtsanwaltsanwärter aus Spitz an der Donau (Bezirk Krems), als Gauleiter verdrängt. Die Geheime Staatspolizei verhaftete führende Vertreter des verhassten alten Systems. Landeshauptmann Josef Reither und Bauernbunddirektor Leopold Figl wurden in das Konzentrationslager Dachau gebracht.

Adolf Hitler spricht nach dem Anschluss am Heldenplatz in Wien

Zugleich begann ein propagandistisches Werben um ein „Ja“ bei der sogenannten Volksabstimmung am 10. April. In allen größeren Städten Niederösterreichs gaben sich in diesen Wochen zahlreiche NS-Größen die Klinke in die Hand und hielten Reden. „Man hat versucht im Sinne des Anschlusses ein Feuerwerk der Zustimmung zu bekommen“, erzählt Thomas Buchner. In Amstetten traten etwa Reichsinnenminister Wilhelm Frick, SS-Reichsführer Heinrich Himmler und Bundeskanzler Arthur Seyß-Inquart auf.

Das allgemeine Werben um die Zustimmung bei der Volksabstimmung spiegelte sich auch in vielen Zeitungsberichten wider, wo es ein einmonatiges Trommelfeuer an Propaganda gab. „Man wollte die positive Seite des Regimes zeigen und hat zunächst keine allzu scharfen Repressionsmaßnahmen ergriffen“, erzählt Buchner. Die „Volksabstimmung“ über die Zukunft Österreichs wurde für Hitler dadurch wenig überraschend zu einem fast hundertprozentigen Erfolg.

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100 Jahre NÖ Anschluss 1938 Amstetten St. Pölten Krems
Anno/Erlafthal-Bote
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Anno/Der Bezirksbote für den politischen Bezirk Bruck a.d. Leitha
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Anno/Niederösterreichischer Grenzbote
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Anno/St. Pöltner Bote
100 Jahre NÖ Anschluss 1938 Amstetten St. Pölten Krems
Anno/Ostbahn-Bote
100 Jahre NÖ Anschluss 1938 Amstetten St. Pölten Krems
Anno/Ostbahn-Bote

„Amstettner Blutnacht“

Doch bereits in der folgenden Nacht kam es zur „Amstettner Blutnacht“ – Gewaltexzesse, die in ihrer Brutalität in Österreich einzigartig waren, wie der Stadthistoriker schildert: „Vor allem Funktionäre des Ständestaatregimes wurden schwer misshandelt, mit Ochsenziemern geprügelt und teilweise nackt durch die Stadt getrieben.“ Das Gasthaus Kronberger am Hauptplatz, in dem sich die Nazis versammelten, erhielt danach den Beinamen „Schlachthaus“.

Die Gewalt nahm in weiterer Folge solche Ausmaße an, dass man sie nur mit Hilfe von Polizeikräften aus anderen Städten unter Kontrolle brachte. Sogar manchen Nazi-Anhängern ging die Aktion im Nachhinein zu weit. Eine NSDAP-Abteilung wurde zur Untersuchung der Vorfälle nach Amstetten geschickt. Diese verlief aber wenig überraschend im Sand. In den Tagen und Wochen danach begann die „systematische Verfolgung der Juden“, erinnert Buchner – nicht nur in Amstetten, sondern im ganzen Land.

Krems wird Gauhauptstadt

In den folgenden Monaten wurde der ehemalige Stadtrat von St. Pölten, Hugo Jury, durch den unerfahrenen Gauleiter und Landeshauptmann Roman Jäger ersetzt. Im Herbst wurde sein Stellvertreter Julius Kampitsch gegen den Reichsdeutschen Karl Gerland ausgetauscht. Mit Krems sollte das Land nun sogar eine Hauptstadt erhalten. Am 18. Juli wurde die Stadt zur Gauhauptstadt ernannt, der Ausbau fiel aber dem Krieg zum Opfer.

Das Land erhielt jedoch einen neuen Namen – „Niederdonau“ – und veränderte auch seine Ausdehnung. Mit 15. Oktober wurde Niederdonau um das Nordburgenland vergrößert und gleichzeitig um 97 Randgemeinden von Wien, die dem neuen Gau Groß-Wien zugeschlagen wurden, verringert.

Wettstreit um judenfreie Stadt

In der Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November verwüsteten Mitglieder von SS und SA sowie andere Nationalsozialisten zahlreiche Synagogen und drangen in jüdische Häuser und Geschäfte ein. Sie zertrümmerten Fenster- und Auslagenscheiben, trieben jüdische Bewohner und Bewohnerinnen zusammen und hielten diese mehrere Tage gefangen. Damals wurden die letzten jüdischen Geschäfte geschlossen.

Sendungshinweis

„NÖ heute“, 28.2.2022

„Es galt vor allem eine scharfe Grenzlinie zwischen der jüdischen und der arischen Bevölkerung zu schaffen“, erzählt Historiker Buchner. Das Inventar und die Lagerbestände wurden der NS- Volkswohlfahrt übergeben und vor Weihnachten an bedürftige „Volksgenossen“ verteilt.

Zudem entbrannte zwischen mehreren Städten ein Wettstreit, wer als erstes „judenfrei“ werde. Daran nahm auch Amstetten unter NS-Bürgermeister Mitterdorfer teil, der Wettstreit scheiterte allerdings. „Einzelne Personen haben sich geweigert, wegzuziehen, was den damaligen Bürgermeister ziemlich gewurmt hat“, weiß Buchner. Ein Jahr später war das aber vergessen – mit großem Stolz verkündete die NS-Führung, dass Amstetten judenfrei sei.