Erwin Pröll
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„Ganz Persönlich“

Pröll: „Wichtigste war, dass Stolz auf Land wächst“

Erwin Pröll war fast 25 Jahre Landeshauptmann von Niederösterreich. Am 24. Dezember feiert der ÖVP-Politiker seinen 75. Geburtstag. In seiner Amtszeit war „das Wichtigste, dass das Landesbewusstsein wachsen kann“, dass die Leute stolz auf ihr Land sind, sagt er.

Erwin Pröll wurde am 24. Dezember 1946 als Kind einer Weinbauernfamilie in Radlbrunn (Bezirk Hollabrunn) geboren. Die Katastralgemeinde von Ziersdorf ist bis heute sein Zuhause. Der studierte Agrarökonom wurde 1980 Landesrat, von 1981 bis 1992 war er Landeshauptmann-Stellverteter. Von 1992 bis 2017 war er Landesparteiobmann der Volkspartei Niederösterreich und Landeshauptmann.

Pröll hat Niederösterreich in den 25 Jahren seiner Amtszeit politisch geprägt und zahlreiche neue Akzente gesetzt. Schwerpunkte seiner Regierungsarbeit waren die Stärkung des ländlichen Raumes, der Ausbau der Infrastruktur, die Entwicklung Niederösterreichs zu einem Wirtschafts- und Forschungsstandort und die Positionierung als Kulturland. Im April 2017 übergab er sein Amt an Johanna Mikl-Leitner (ÖVP).

Wenige Tage vor seinem 75. Geburtstag blickte Pröll im Gespräch mit ORF-NÖ-Reporter Robert Friess auf seine politische Karriere und Entscheidungen sowie prägende Momente in seinem Leben zurück. Über den neuen Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) und den neuen Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) sagte er: „Ich kenne beide nicht nur durch die Arbeit, sondern ich schätze sie auch sehr. Beide Persönlichkeiten wissen, was es bedeutet, politische Verantwortung zu tragen, beide haben entsprechende Lebenserfahrung und politische Erfahrung hinter sich. Talent ist wichtig, aber Erfahrung ist unbedingt notwendig, um an verantwortlicher Position reüssieren zu können.“

noe.ORF.at: Erwin Pröll, wir sind hier im Brandlhof in Radlbrunn, bei Ihrem Stammtisch in der Wirtsstube. Welche politischen Entscheidungen sind hier gefallen?

Erwin Pröll: Der Brandlhof ist mir natürlich sehr ans Herz gewachsen, ich habe hier schon als Bub das Kirchenblatt hereingetragen. In der Folge ist der Brandlhof dann so etwas wie ein Zentrum im Netzwerk zwischen den Künstlerinnen und Künstlern und mir geworden. Hier haben wir viele Diskussionen geführt. Von hier aus sind auch viele Entscheidungen gereift, was die Kulturpolitik in Niederösterreich betrifft.

noe.ORF.at: Der Brandlhof gilt als Projekt der Dorferneuerung. Eines Ihrer wichtigsten Anliegen war die Belebung des ländlichen Raums. Tut es nicht weh, wenn man durchs Land fährt und trotzdem leere Geschäfte sieht?

Pröll: Da ist leider der Zeitgeist sehr intensiv über den ländlichen Raum und über die Dörfer gezogen. Ich glaube aber dennoch, dass die Dorferneuerung einen ganz wesentlichen Beitrag geleistet hat. Am Beginn dieser Bewegung war das Motto „Stadtluft macht frei“. Gerade in der Pandemie hat sich gezeigt, dass sich das Motto umgedreht hat, heute heißt es „Landluft macht frei“.

So gesehen war es wichtig, diese Bewegung zu starten und letztendlich nicht mehr aufzuhören, auf diesem Weg weiter zu gehen. Denn eines muss klar sein, Stadt und Land brauchen einander als funktionstüchtige Lebensbereiche. Wenn das verloren geht, geht viel im gesellschaftlichen Leben verloren.

Robert Friess im Gespräch mit Erwin Pröll
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Altlandeshauptmann Erwin Pröll (r.) im Gespräch mit ORF-NÖ-Reporter Robert Friess am Stammtisch im Brandlhof: „Von hier aus sind viele Entscheidungen gereift, was die Kulturpolitik in Niederösterreich betrifft.“

noe.ORF.at: Sie sind 1946 in Radlbrunn geboren, Ihr Vater war Kriegsheimkehrer, Sie mussten sehr früh im väterlichen Betrieb mitarbeiten. Inwiefern hat Sie das geprägt?

Pröll: Das bereue ich nicht – im Gegenteil, das hat mein Leben schon von Kindheit an geprägt und entsprechende Werte in mir gefestigt. Diese Werte sind im Laufe meines Lebens mehr und mehr gewachsen und alles das, was ich als Kind am Bauernhof erlebt und mitbekommen habe, konnte ich dann auch in der Politik bewerten und verwerten.

Das nachhaltige Denken ist eines der wichtigsten Dinge, die ich von Kindheit auf mitbekommen habe. Das war auch die Idee, dass die Zukunftsperspektiven, die ich mir für das Land gesetzt habe, konsequent umgesetzt werden konnten – im Sinne der Nachhaltigkeit für die nächsten Generationen dieses Landes.

noe.ORF.at: In Ihrer Kindheit ist es auch zu einem Unfall gekommen. Sie wurden von einem Pferdefuhrwerk überfahren.

Pröll: Es war eine wesentliche Zäsur in meinem Leben, noch mehr für meinen Vater, mit dem ich am Pferdefuhrwerk mitgefahren bin. Ich hatte damals unheimliches Glück. Ich hatte ein Nahtoderlebnis, ich war an der Grenze zwischen Leben und Tod. Das hat meine Einstellung zum Glauben geprägt.

Ich war besorgt, dass mein Vater, der deswegen eine Gerichtsverhandlung hatte, verurteilt wird. Ich weiß noch ganz genau, als er nach Hause gekommen ist, war ich voller Freude. Ich habe angenommen, dass er sofort eingesperrt wird. Das hat auch meine Beziehung zu den Eltern und zum Familiären sehr geprägt.

noe.ORF.at: Bei den ersten Wahlen 1993 als Landeshauptmann und ÖVP-Landesparteiobmann hatten Sie Rücktrittsgedanken, weil es für die ÖVP Verluste gab. Hat Sie tatsächlich Ihre Frau überredet, weiterzumachen?

Pröll: Meine Frau war in den wesentlichen Stationen meines Lebens immer eine unglaubliche Stütze, eine Kraftquelle. Ich habe damit spekuliert, am nächsten Tag zurückzutreten. Meine Frau hat zu mir gesagt, ich soll es überschlafen, morgen sei auch noch ein Tag.

Andreas Maurer (ehemaliger Landeshauptmann; Anm.) hat zu mir gesagt, wegen eines Verlustes von zwei, drei Prozent muss man nicht zurücktreten, stell dich vor die Fernsehkamera, stelle deinen Mann und du wirst sehen, die Welt dreht sich weiter. So gesehen bin ich meiner Frau sehr dankbar, dass sie mir den Rücken gestärkt hat und die Entscheidungskraft übernommen hat.

noe.ORF.at: Sie sind immer wieder mit Gerüchten über Ihr Privatleben konfrontiert worden, vor allem im Internet ist einiges kursiert. Wie geht man damit um?

Pröll: Das war gerade die Zeit, als die sozialen Medien groß geworden sind. Wir hatten relativ wenig Ahnung davon. Es ist wichtig, die Familie als Rückzugsort und Kraftquelle zu haben. Wir haben das relativ locker überwunden und es hat sich letztendlich herausgestellt, dass das alles Luftblasen waren.

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Erwin Pröll: „Meine Frau war immer eine wesentliche Stütze, eine Kraftquelle“

noe.ORF.at: Zurück zu Ihrer Zeit als Politiker. Die Donau-Universität Krems, MedAustron, das Musikfestival Grafenegg, die EU-Erweiterung, von der Niederösterreich stark profitiert hat – worauf sind Sie am meisten stolz?

Pröll: Auf alles. Ich bin mit klaren Zukunftsvorstellungen in die Politik gegangen. Die erste war, den ländlichen Raum weiterzuentwickeln. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs hat sich eine Reihe von unglaublichen Chancen und Möglichkeiten ergeben. Die Notwendigkeit war, Niederösterreich weiterzuentwickeln. Dazu gehörte die kulturelle Infrastruktur aufzubauen, um in Augenhöhe mit der Bundeshauptstadt zu kommen. Dann mussten wissenschaftliche Grundlagen geschaffen werden bis hin zum IST Austria in Klosterneuburg. Außerdem war die Verkehrsinfrastruktur wichtig.

Dann war auch wichtig, dass Niederösterreich in der EU einen Stellenwert einnimmt. Das ist durch die Landesaußenpolitik passiert, nach dem Grundsatz, nur wenn man uns entsprechend kennt, haben wir die Chance im größeren Konzert mitspielen zu können. Das Wichtigste war, dass das Landesbewusstsein wachsen kann. Denn nur wer auf sein Land stolz ist, ist auch bereit, sich dafür einzusetzen und das ist eigentlich die große Kraftquelle geworden.

noe.ORF.at: Was war Ihr größter Fehler?

Pröll: Eigentlich müsste man das die Landsleute fragen. Eines ist mir natürlich sehr präsent: zu glauben, bei einem Radrennen mit Spitzensportlern reüssieren zu müssen. Das hat dann zu einem Unfall geführt, der sehr fatal war.

noe.ORF.at: Sie sind mit Kommentaren zur aktuellen Politik sehr zurückhaltend. Aber Bundeskanzler Karl Nehammer hat früher für die Landes-ÖVP im Gemeindereferat gearbeitet und Innenminister Gerhard Karner hat als Landesgeschäftsführer Ihre Wahlkämpfe organisiert.

Pröll: Ich kenne beide nicht nur durch die Arbeit, sondern ich schätze sie auch sehr. Beide Persönlichkeiten wissen, was es bedeutet, politische Verantwortung zu tragen, beide haben entsprechende Lebenserfahrung und politische Erfahrung hinter sich. Das ist ganz wichtig. Talent ist wichtig, aber Erfahrung ist unbedingt notwendig, um an verantwortlicher Position reüssieren zu können.

noe.ORF.at: War das eine Spitze gegen Sebastian Kurz?

Pröll: Ich verteile keine Spitzen. Ich habe mir vorgenommen, zu aktuellen Fragen der Tagespolitik nicht Stellung zu nehmen. Aber ich kann Ihnen eine Geschichte erzählen, die eigentlich für jede Interpretation offen ist.

Andreas Maurer hat mich mit 33 Jahren in die Landesregierung geholt. Nach einem dreiviertel Jahr ist Maurer als Landeshauptmann zurückgetreten. In Medien wurde darüber spekuliert, ob es nicht besser wäre, wenn der junge Pröll dem Maurer folgt anstatt Siegfried Ludwig.

Andreas Maurer hat mich dann zu sich zitiert und gesagt: „Ich habe dich in die Regierung geholt, weil ich überzeugt bin, du bist ein Talent. Aber Talent alleine ist zu wenig, um ein Land führen zu können. Dazu gehört politische Erfahrung und Lebenserfahrung. Deine Zeit kommt noch.“ Im Blick zurück kann ich nur sagen, wie Recht Andreas Maurer hatte.