Coronavirus

„Infektionsgeschehen noch einmal angefacht“

Wegen des Coronavirus fällt weiterhin in vielen Bereichen Personal aus. Epidemiologin Eva Schernhammer spricht davon, dass die Öffnungsschritte in Kombination mit der Omikron-Variante BA.2 das Infektionsgeschehen noch einmal angefacht haben.

Die hohen Infektionszahlen führen dazu, dass u.a. den Spitälern das Personal ausgeht – bis zu 20 Prozent der Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Landeskliniken fehlen. In Wiener Neustadt, Baden-Mödling und Neunkirchen gilt eine sogenannte Akutversorgung: Nicht dringend notwendige Eingriffe werden verschoben, damit Notfälle weiterhin behandelt werden können – mehr dazu in Landeskliniken: Notfall-, aber kein Notbetrieb (noe.ORF.at; 21.3.2021).

Die Epidemiologin Eva Schernhammer ist sowohl Mitglied der Gecko- als auch der Impfpflicht-Kommission. Erstere ist ein Beratergremium im Bundeskanzleramt für die Krisenkoordination, letztere empfiehlt der Bundesregierung in regelmäßigen Abständen, ob die Einhaltung der Impfpflicht überprüft und Strafen ausgestellt werden sollen – je nach epidemiologischer Lage im Land. Sie spricht davon, dass die Omikron-Variante BA.2 noch einmal infektiöser sei und sich deswegen täglich so viele Menschen infizieren. Eine Durchseuchung sei aber keine Strategie, sagt Schernhammer.

noe.ORF.at: Frau Professor Schernhammer, es gibt mehr als 97.000 aktiv Fälle in Niederösterreich und eine angespannte Lage in den Spitälern. Waren die Öffnungen Anfang März zu früh? Hat man Omikron und seine Untervarianten unterschätzt?

Eva Schernhammer: Die Öffnungen waren wahrscheinlich eine Spur zu früh, das muss man ganz offen sagen. Das hat sich aus der Situation ergeben, dass eben Omikron rasch ersetzt wurde durch diese zweite Untervariante, die noch einmal infektiöser ist. Jetzt ist es so, dass die Öffnungsschritte das Infektionsgeschehen noch einmal kurzfristig angefacht haben, und das erleben wir gerade.

Die Forscherin Eva Schernhammer im Interview mit Werner Fetz
ORF
Eva Schernhammer im Interview mit „NÖ heute“-Moderator Werner Fetz

noe.ORF.at: Es gibt auch Vermutungen und Stimmen, die mutmaßen, dass man das Virus durchlaufen lassen will. Ist das eine Strategie?

Schernhammer: Das ist keine Strategie. Man sieht ja, dass sich derzeit sehr viele Menschen anstecken – sowohl Menschen, die nicht geimpft sind, als auch jene, die geimpft sind. Das Virus ist dermaßen ansteckend geworden, dass es weite Bereiche der Bevölkerung betrifft – insbesondere jene Menschen, die Kinder in Schulen haben die oder exponierter sind und mehr soziale Kontakte haben. Aber auch generell: Das Virus ist unter uns und zirkuliert derzeit noch sehr stark.

noe.ORF.at: Jetzt kommt am Mittwoch die Maske in Innenräumen zurück. Wird das ausreichen? Oder wird es im Extremfall so wie letztes Jahr eine „Osterruhe“ brauchen?

Schernhammer: Naja, die FFP2-Maske wieder einzuführen ist ein guter und wichtiger Schritt. Das wird Erleichterungen bringen, aber Wunder wird man sich keine erhoffen dürfen. Irgendwann laut Modellierungen wird der Punkt erreicht sein, wo wir Sättigung in der Bevölkerung erreichen, aber leicht zu setzende Maßnahmen wie Homeoffice, um ein bisschen mehr Distanz zwischen Menschen zu schaffen, das würde ich als sehr angemessen für die Situation halten und bedenken, ob man das nicht doch wieder einführen könnte.

Die Forscherin Eva Schernhammer
APA/FLORIAN WIESER
Eva Schernhammer ist Ärztin, Epidemiologin und Forscherin an der Medizinischen Universität Wien

noe.ORF.at: Was heißt das alles für die Diskussion um die Impfpflicht, die momentan ausgesetzt ist? Wann soll die scharf geschaltet werden?

Schernhammer: Das muss man noch abwarten. Da gilt es zu schauen, ob es neue Daten geben wird mit längerem Follow-up, um den Immunstatus besser einschätzen zu können. Worum es gehen wird ist, wie notwendig eine weitere Impfung ist und zu welchem Zeitpunkt sie zu setzen sein wird.

Da hoffen wir auf neue Daten, die uns besser Auskunft geben werden können darüber, wie sich das Immunsystem des Menschen verändert – nach der dritten Impfung zum Beispiel. Und wie schnell und zu welch starkem Abfall der Immunabwehr es kommt, und ob es überhaupt notwendig ist – und wenn ja, wann – noch einmal aufzufrischen.

noe.ORF.at: Eine Frage zur Gecko-Kommission: Der Gesundheitsminister hat sich zuletzt für „manche Ungereimtheiten und manchen Unmut“ entschuldigt. Wie einig oder uneinig ist man sich eigentlich in der Kommission? Und wie sehr folgt die Politik den Empfehlungen?

Schernhammer: Also innerhalb der Kommission sehe ich eine recht große Einigkeit. Selbstverständlich gibt es in der Wissenschaft Diskussionen, man kann sich meistens irgendwo auf einen Standpunkt einigen, der alle abholt. Insofern sehe ich keine Diskrepanzen innerhalb Gecko.

Ob die Regierung immer auf das reagiert, was Gecko empfiehlt … (überlegt) Im Prinzip hätte ich gesagt ja. Da ist auch ein großes Commitment, das wird ja auch mehrfach ausgedrückt, dass man sich eben an die Empfehlungen halten und diese soweit wie möglich umsetzen möchte. Wenn das dann manchmal nicht geschieht, so wie es jetzt der Fall war, dann ist das ohnedies ein Prozess, der sicherlich auch den Entscheidungsträgern zu denken geben wird. Und wo man eben in Zukunft vielleicht noch mehr versuchen wird, sich mit Expertenmeinungen abzustimmen.