„Ich wollte nie Leute schockieren, ich wollte mit meiner Arbeit Intensität bewirken“, sagte Hermann Nitsch einst in einem Interview über seine Arbeit. Bekannt geworden war der durchaus umstrittene Künstler in den 1960er-Jahren durch seinen Aktionismus, der auch als gotteslästerliches Spektakel kritisiert wurde.
Am 29. August 1938 in Wien geboren, war seine Kindheit geprägt von den Wirren des Krieges. Nur wenige Monate, bevor er das Licht der Welt erblickte, kam es zum „Anschluss“ Österreichs an Nazi-Deutschland. Der Vater fiel im Krieg, Nitsch wurde von seiner Mutter alleine großgezogen.
„Ich habe in diesem Alter schon wirklich Todesangst gehabt und begriffen, was es heißt zu sterben, die Wohnung zu verlieren und kein Zuhause zu haben. Ich glaube schon, dass diese dramatische Situation etwas bei mir hinterlassen hat“, wird Nitsch darüber in einem Katalogtext zitiert.
Nitsch als Mitbegründer des Wiener Aktionismus
Nach dem Krieg besuchte Nitsch in Wien die Grafische Lehr- und Versuchsanstalt, und bereits seine ersten Arbeiten zeugten vom Interesse an religiösen Themen. Ursprünglich wollte er sogar Kirchenmaler werden, seine Diplomarbeit war etwa ein Bibelumschlag.
Zur selben Zeit entstand aber auch seine Idee für das Orgien-Mysterien-Theater – prägend für alles, was danach kommen sollte: Nitsch verfolgte sein Leben lang einen allumfassenden Ansatz, bei dem er Text, Musik, Malerei und Performance gesamthaft verknüpfte.
Archiv: Der Wiener Aktionist Hermann Nitsch
Ein Beitrag anlässlich einer Ausstellung im nitsch museum zum 75. Geburtstag des Künstlers
In den 60er-Jahren wurde er dank der zusammenhängenden Aktionen, die zunächst noch mit Farbe, sukzessive aber mit Blut, Eingeweiden und Tierkadavern vonstattengingen, zum Mitbegründer des Wiener Aktionismus – und sah sich alsbald mit harscher Kritik, Anfeindungen und Inhaftierungen konfrontiert, die ihn auch dazu veranlassten, nach Deutschland zu ziehen.
Doch während die Öffentlichkeit zum Teil mit Unverständnis auf Nitsch reagierte, stellten sich auch erste große Erfolge ein. So nahm er in der Folge an der documenta in Kassel teil, stellte in New York und London aus und verfolgte weiter konsequent seine Vision des Gesamtkunstwerks.
Nach Erfolgen im Ausland kehrte er schließlich zurück nach Österreich und kaufte 1971 das Schloss Prinzendorf im Weinviertel (Bezirk Gänserndorf), wo er unter anderem sein Orgien-Mysterien-Theater aufführte. Dort kam es 1998 auch zum legendären „6-Tage-Spiel“, das der Künstler damals als bisherigen Höhepunkt seines Schaffens ansah. Die Veranstaltung führte zu einem enormen Medientrubel und sorgte für viel Erregung.
Eigenes Museum würdigt den Künstler
Auf der Suche nach Räumlichkeiten, um seine Bilder auszustellen, stieß der Künstler auch auf eine alte Fabrikshalle. Mit Unterstützung von Land und Gemeinde wurde diese Halle in ein Museumsareal umgebaut. 2007 wurde schließlich das Nitsch Museum in Mistelbach eröffnet. Das Museum ist bis heute eines der größten Museen in Österreich, das einem einzelnen Künstler gewidmet ist.
Auszeichnungen wie der Österreichische Kunstpreis für bildende Kunst (1984) und der Große Österreichische Staatspreis für bildende Kunst (2005) sind nur zwei von vielen Ehrungen für einen Künstler, dem schon zu Lebzeiten zwei Museen (neben Mistelbach auch in Neapel) gewidmet sind. Dessen ungeachtet ließen seine Aktionen bis zuletzt Kritiker und Tierschützer auf die Barrikaden steigen.

Bayreuther Festspiele als spätes Highlight
Zeit seines Lebens führte Hermann Nitsch mehr als 140 Aktionen auf. Religiöse Elemente waren dabei stets Teil seiner Arbeit. Und auch die Musik spielte eine wichtige Rolle. Bei der Jubiläumsfeier des Museums im Jahr 2017 etwa präsentiert er sein selbstkomponierte Sinfonie.
Nitsch versuchte sich auch als Opernausstatter und Regisseur. Und im Vorjahr kehrte er gewissermaßen zu diesem Bereich zurück: Eine seiner letzten, vielbeachteten Auftritte war jener bei den Bayreuther Festspielen. Mit Farbräuschen interpretierte er dort die Bühnengestaltung zu Richard Wagners „Walküre“ – mehr dazu in Nitsch-Farbräusche bei „Walküre“ in Bayreuth (noe.ORF.at; 2.9.2021).
Neues „6-Tage-Spiel" erst vor Kurzem angekündigt
Bis ins hohe Alter blieb Nitsch, der bis zuletzt in Prinzendorf lebte, aktiv. Zu seinem 80. Geburtstag sagte er: „Ich hoffe, dass ich noch offene Zeit für die Entwicklung meiner Arbeit habe. Ich finde es größenwahnsinnig zu glauben, jetzt ist das Werk abgeschlossen.“
Und so wurden in Prinzendorf heuer im Juli zwei Aufführungstage des im Vorjahr coronavirusbedingt abgesagten „6-Tage-Spieles“ angekündigt. Er werde dieses „vielleicht in der vollkommensten Form aufführen. Da wird der Klang, die Musik die ganz entscheidende, innigste Rolle spielen“, hatte Nitsch noch im Vorjahr in einem Interview angekündigt – mehr dazu in Nitschs „Walküre“: „War wie ein Dirigent“ (noe.ORF.at; 11.10.2021).
Dazu wird es nun nicht mehr kommen. Hermann Nitsch starb am späten Montagabend im Alter von 83 Jahren. Mit ihm verliert Niederösterreich einen Künstler, der polarisierte und die internationale Kunstwelt revolutionierte.
Bundespräsident: Trauer um „faszinierenden Maler“
„Die heimische Kunst ist um eine ihrer auch international bedeutendsten Persönlichkeiten ärmer", so Bundespräsident Alexander Van der Bellen in einer ersten Reaktion auf das Ableben von Hermann Nitsch. „Mit ausdrucksstarken Bildern und Aufsehen erregenden Aktionen hat er die heimische Kunstwelt neu definiert. Nun ist der Großmeister des Aktionismus von uns gegangen.“
„Konsequent hat Hermann Nitsch über Jahrzehnte hinweg an seinem kultischen Stil gearbeitet, seine Werke und sein Wirken haben niemanden kaltgelassen“, so der Bundespräsident weiter. „Österreich trauert um einen unbestechlichen und faszinierenden Maler und einen beeindruckenden Menschen. Sein Werk wird weiterleben, dessen bin ich mir gewiss.“
Mayer: Beeindruckende „Standhaftigkeit trotz aller Kritik“
„Heute hat uns ein wahrhaft einzigartiger Künstler verlassen“, sagte Kunst- und Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer. „Seine vielfältige Auseinandersetzung mit Kunst, Ästhetik, Religion und Philosophie hat Hermann Nitschs Werk förmlich durchzogen. Seine Großformate ziehen Menschen in ihren Bann wie es kaum andere Kunstwerke können."
Mit den Orgien-Mysterien-Spielen habe Nitsch die Grenzen des Kunstschaffens neu definiert, meinte Mayer. "Was mich persönlich an Nitsch beeindruckt hat, ist seine Durchsetzungskraft und seine Standhaftigkeit trotz aller Kritik, die ihm vor allem zu Beginn entgegengeschlagen ist“, so die Kunst- und Kulturstaatssekretärin.
Mikl-Leitner: „Künstler von Weltrang“
„Hermann Nitsch war ein Künstler von Weltrang und einer der bedeutendsten zeitgenössischen Künstler überhaupt", sagte Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) zum Ableben von Hermann Nitsch. Sie bezeichnete ihn als „eine schillernde, zuweilen auch polarisierende und umstrittene, aber immer spannende Künstlerpersönlichkeit von weltweiter Bedeutung.“ Man sei stolz, dass er in Niederösterreich Zuhause war.
Mit dem Nitsch-Museum in Mistelbach habe das Land Niederösterreich „diesem großartigen Universalkünstler ein bleibendes Denkmal gesetzt". „Dieses Museum soll ein Zeichen dafür sein, wie sehr wir in Niederösterreich Hermann Nitsch geschätzt und bewundert haben. Ich bin sicher, noch viele Generationen werden dieses Museum besuchen, um sich von seinen Werken inspirieren und begeistern zu lassen.“
Pröll: „Nitsch war sensibler und zutiefst gläubiger Mensch“
Tief betroffen über das Ableben von Hermann Nitsch zeigte sich der Aufsichtsratsvorsitzende der Kultur.Region.Niederösterreich, der ehemalige Landeshauptmann Erwin Pröll, dem mit Nitsch eine lange und persönliche Freundschaft verband. Er bezeichnet ihn und sein Werk als einen Teil der Kunstgeschichte. „Für meine politische Arbeit hat Nitsch und sein Werk viel an Diskussion und Kritik bedeutet, wenn ich etwa an das Werden des Nitsch-Museums in Mistelbach denke, für das viel Kraft und Überzeugungsarbeit notwendig war“, so Pröll.
„Viele haben in Nitsch zuallererst den umstrittenen, provokanten und kontroversen Künstler gesehen. Eine Etikette und Einordnung, die dem großen, vielseitigen und prägenden Wirken bei weitem nicht gerecht wurde“, so Pröll. „Nitsch war ein sensibler, bodenständiger und zutiefst gläubiger Mensch, stets auf der Suche nach Antworten auf grundlegende Fragen des Lebens und des Glaubens.“
Krismer: „Große Lücke in der Kulturlandschaft“
Betroffen zeigte sich am Dienstag auch Niederösterreichs Grünen Chefin Helga Krismer: „Das Ableben von Hermann Nitsch hinterlässt eine große Lücke in der globalen, aber auch niederösterreichischen Kulturlandschaft.“ Zur Trauer um den Künstler geselle sich auch Stolz auf sein Werk und sein Wirken, so Helga Krismer.
„Schon zu Lebzeiten war Hermann Nitsch ein Symbol dafür, wie wichtig die künstlerische Provokation, die zivilisierte Streitkultur, und die Freiheit der Kunst sind: Sie sind unverzichtbare Bestandteile einer pluralistischen, liberalen und demokratischen Gesellschaft. Ich danke Hermann Nitsch für seine Arbeiten – aber auch für diese Botschaft", sagte Krismer.