kika-Filiale in Stockerau, Außenansicht, Warteschlange
ORF
ORF
Wirtschaft

Kika/Leiner: Kahlschlag „nicht überraschend“

Der Schlussverkauf bei kika/Leiner lockt Kundinnen und Kunden an, in Stockerau hat am Samstag Blockabfertigung geherrscht. Die Insolvenz der Möbelkette kommt für Branchenkenner nicht überraschend. Kika/Leiner schreibt seit einigen Jahren Verluste.

Wäre der Andrang immer so groß gewesen, die aktuelle Situation wäre wohl nie eingetreten: Seit bekannt ist, dass die kika/Leiner-Gruppe wegen finanzieller Probleme Insolvenz anmelden will, fast die Hälfte des Personals kündigt und Filialen schließt, hat ein Ansturm auf die Einrichtungshäuser eingesetzt. Denn die lagernde Ware will man mit stark reduzierten Preisen noch los werden und viele fürchten um die Gültigkeit ihrer Gutscheine.

In der kika-Filiale in Stockerau (Bezirk Korneuburg) gab es beim Besuch von noe.ORF.at am Samstag eine lange Warteschlange bevor das Geschäft überhaupt aufsperrte. 15 Minuten später: Die Wartenden wurden nur mehr in Blockabfertigung ins Möbelhaus gelassen.

Fotostrecke mit 4 Bildern

kika-Filiale in Stockerau, Kassa
ORF
Viel Arbeit kommt in den letzten eineinhalb Monaten in Stockerau noch auf das Personal zu
kika-Filiale in Stockerau, Sofa mit gelbem Schild
ORF
Viele Möbel waren Samstagvormittag bereits verkauft
kika-Filiale in Stockerau, Außenansicht, Warteschlange
ORF
Einkaufen ist in Stockerau nur mehr bis Ende Juli möglich. Dann wird die Filiale, so wie 22 weitere, geschlossen.
kika-Filiale in Stockerau, Außenansicht, Warteschlange
ORF
Eingelassen wurden Kundinnen und Kunden nur nach und nach, weil das Geschäft so voll war

„Er macht zu – aus, fertig“

Die Kundinnen und Kunden freuten sich am Einkaufssamstag über Schnäppchen, gleichzeitig verlieren 1.900 Menschen mit Ende Juli ihren Arbeitsplatz. Familie Berthold kauft etwa seit der Geburt ihrer Tochter alles für das Kinderzimmer bei derselben kika-Verkäuferin: „Wir haben sie jetzt auch mehr oder weniger verabschiedet, mit einem weinenden Auge natürlich“, so David Berthold.

Für Kunde Gerhard Dietmeier ist die Schließung nicht nachvollziehbar: „So lange steht das Haus da, und jetzt wird alles zugesperrt. Im Umkreis von 50 Kilometer gibt es dann kein Möbelhaus mehr.“ Anna Wimmer fasst die Situation zusammen: „Was soll man machen? Er macht zu – aus, fertig. Für ihn ist es erledigt, für uns nicht. Und wir werden ja eh nicht gefragt.“

Ansturm auf kika/Leiner-Gruppe

Vor den Filialschließungen der kika/Leiner Gruppe und dem Abverkauf der lagernden Ware, wollen viele Menschen noch Produkte ergattern. Lange Warteschlangen waren die Folge.

Die Vorgeschichte

Er – damit ist der neue Geschäftsführer gemeint. Hermann Wieser, der das operative Geschäft übernommen hat, kannte die Bilanzzahlen, erinnern Insider, und wusste, dass er bei laufenden Verlusten hohe Verbindlichkeiten übernimmt. Denn seit der Übernahme von kika/Leiner durch Rene Benkos Signa Holding im Jahr 2018 schrieb die Möbelkette rote Zahlen. Aus Sicht von Branchenbeobachtern kommt der Kahlschlag sowie die Ankündigung eines Sanierungsverfahrens deswegen wenig überraschend.

Für Gerhard Weinhofer, Geschäftsführer des Gläubigerschutzverbandes Creditreform, ist die Frage, wann genau man von einer Überschuldung eines Unternehmens sprechen kann, generell schwer zu beantworten. Ohne genauer Daten und Fakten zur wirtschaftlichen Situation sei das im Nachhinein schwer zu beurteilen. Bei kika/Leiner dürfte die Signa Holding als Gesellschafterin zuletzt weiter Geldmittel zugeführt haben, um die Kette über Wasser zu halten, schätzt der Experte. Und solange ein Haftungsträger Geld zur Aufrechterhaltung nachschieße, müsse ein Unternehmen auch keine Insolvenz anmelden. Diese Rechtsansicht wird auch vom Insolvenzrechtsexperten Martin Spitzer von der Wirtschaftsuni Wien geteilt.

Für Weinhofer ist die Vorgangsweise rechtlich zulässig, wenngleich er sie nicht moralisch kommentieren wolle, wie er auch gegenüber der Tageszeitung „Salzburger Nachrichten“ sagte. Die Zahlen sprechen jedenfalls eine klare Sprache. In Benkos erstem Jahr als Eigentümer wies kika/Leiner laut „WirtschaftsCompass“ 50 Mio. Euro Verlust aus. Der Umsatz ging auf 414 Mio. Euro zurück. 2017, im letzten Jahr vor seinem Einstieg, hatte das Möbelhaus als Tochter der Steinhoff-Gruppe noch 444 Mio. Euro umgesetzt, allerdings auch schon 35 Mio. Euro Verlust geschrieben.

Immobilien waren wahrer Wert

In den Jahren 2019 und 2020 schrumpfte zwar der Umsatz weiter – auf 386 und dann 362 Mio. Euro, der Verlust schien aber eingedämmt. 2019 fehlten gut vier Millionen, 2020 nur mehr 1,4 Mio. Euro zur Gewinnschwelle. 2021 brachte allerdings wieder einen Rückschlag mit 10 Mio. Euro Verlust, bei nur mehr 359 Mio. Euro Umsatz. Der Bilanzverlust summierte sich inzwischen auf 83,7 Mio. Euro. Offizielle Zahlen für 2022 liegen noch nicht vor.

Der Wert von kika/Leiner lag jedenfalls schon lange nur mehr in seinen Immobilien. Benko erwarb das operative Geschäft um einen symbolischen Euro und verkaufte es an Wieser um ebenfalls einen symbolischen Euro. Wie sich der Wert der Immobilien entwickelt hat, ist schwieriger darzustellen. Benko hat etwa das Leiner-Stammhaus am St. Pöltner Rathausplatz, in dem das Unternehmen 1910 startete, schon vor einem halben Jahr an die SÜBA AG verkauft.

Die restlichen Immobilien wurden nun an die Supernova-Gruppe verkauft – nach APA-Informationen um 350 Mio. Euro. Zwar wurden 2018 die Immobilien zunächst mit 490 Mio. Euro bewertet, ein direkter Vergleich mit dem damaligen Wert ist allerdings kaum möglich, denn es wurden nie Details dazu veröffentlicht. Die 22 kika-Standorte in Osteuropa verkaufte Benko schon 2018, kurz nach seinem Einstieg, an den Mitbewerber XXXLutz.

Der Hauptplatz in St. Pölten mit der der Leiner-Filiale
Franz Brueck
Das Leiner-Stammhaus in St. Pölten verkaufte Signa schon 2022. Vor 113 Jahren gründete Rudolf Leiner hier das Möbelhaus.

Übernahme war für Signa „sehr gutes Investment“

In Österreich übernahm Signa 2018 46 Standorte. Von diesen hat Benko zwischenzeitlich einige veräußert, laut „Presse“ ebenfalls um 200 Mio. Euro. Zu kika/Leiner gehören jetzt in Österreich 40 Standorte. Signa stellt das Investment gerne als Erfolg dar: „Aus Signa Gruppensicht war die Übernahme von kika/Leiner trotz schwierigen Marktumfeldes ein sehr gutes Investment“, so das Unternehmen kürzlich.

Offen bleibt dabei, wie viel Geld Signa in das Unternehmen gesteckt hat. Signa verpflichtete sich beim Kauf, „einen dreistelligen Millionenbetrag einzuschießen“. Damals hieß es, es gehe um etwas mehr als 100 Mio. Euro. Wie viel Geld tatsächlich geflossen ist, wurde nicht kommuniziert. An Coronavirus-Hilfen erhielt kika/Leiner laut der Transparenzdatenbank der EU, die Auskunft über die Höhe der Zuschüsse der einzelnen Länder gibt, vom Staat 5,7 Millionen Euro.