Gutenstein Raimundspiele Kritik Festival Theater
Joachim Kern
Joachim Kern
Kultur

Gutenstein: Standing Ovations für Turrini-Uraufführung

Die Uraufführung eines Auftragswerks von Peter Turrini ist am Donnerstag bei den Raimundspielen Gutenstein mit Standing Ovations bedacht worden. In „Es muss geschieden sein“ wird Ferdinand Raimund in den Kontext des Revolutionsjahrs 1848 gerückt.

Zu Beginn verspeist Günter Franzmeier alias Adam Holzapfel genüsslich ein Schnitzel: Henkersmahlzeit eines von ihm demnächst standrechtlich zu Füsilierenden. Der habe nichts mehr vom kulinarischen Genuss, rechtfertigt sich Adam schmatzend. Ist es eine Komödie? Ist es eine Tragödie? Eher Tragödie lautet die Antwort auf die Bernhard’sche Frage in diesem Fall, auch wenn Turrinis Theatercredo erklärtermaßen besagt, dass jeder Tragödie eine Komödie innewohne, schreibt APA-Redakteur Ewald Baringer in seiner Kritik.

Der Plot: In einem Theater in Wien wird Raimunds „Der Bauer als Millionär“ geprobt. Draußen auf der Straße wird Revolution geprobt. Der Student Karl flüchtet ins Theater und empört sich: „Aber das Ganze ist doch lächerlich, lauter Feen und Geister. Da draußen findet eine Revolution statt. Im Volksgarten liegen tote Kinder. Die Studenten gehen auf die Barrikaden und opfern ihr Leben für die Freiheit. Wie kann man in solchen Zeiten so etwas aufführen?“

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Joachim Kern

„Nur so etwas kann man in diesen Zeiten aufführen“, wird er vom Regisseur belehrt. Wie überhaupt manche Passage etwas lehrhaft über die Rampe kommt. Aber ein wenig geschichtliche Nachhilfe schadet nicht, denn wer weiß schon als Nichthistoriker gar so viel über das 1848er-Jahr? Das Auftragswerk von Turrini entstand in Kooperation mit dem Wiener Theater in der Josefstadt.

Anspielungen auf die Gegenwart

Zudem gelingt es Turrini, mit einigen kleinen Anspielungen mühelos den Bogen bis in die Gegenwart zu spannen. Wird die Bestechlichkeit von Politikern erwähnt oder die devote Untertanenhaltung gegenüber Vorgesetzten, geht ein verständiges Raunen durchs Publikum. Die Sprache nähert sich dem Raimund’schen Stil an – manchmal durchbrochen, zum Beispiel durch ein „Okay“. Auch die Poesie spielt eine wesentliche Rolle. Die junge Schauspielerin Zäzilie etwa träumt von einer Fahrt mit der Montgolfiere, die sie dem Himmel näher bringen soll, um „alles Traurige von dieser Welt“ zu vergessen. Horvaths Zeppelin lässt leise grüßen.

In revolutionärem Übermut wird eine den Kaiser repräsentierende Puppe aufgehängt. Im Zuge der Restauration werden die beiden ineinander verliebten Rädelsführer Karl und Zäzilie zum Tod verurteilt. Während Karl von seinem betuchten Vater freigekauft wird, bleibt Zäzilie in Haft. Holzapfel, der sich zwischendurch den Schauspielern angeschlossen hatte, soll sie erschießen – und weigert sich im letzten Moment. Ein anderer möge es tun…

„Weitermachen!“

Da steigt ein beleuchtetes Objekt langsam empor: Die Montgolfiere hebt ab, es geht himmelwärts, wenn auch vermutlich anders als erträumt. Doch dann reißt es auch noch einmal den Kaiser empor, der wieder an der Decke baumelt: Ein starkes Schlussbild wie ein Appell, sich nicht entmutigen zu lassen im Kampf gegen Tyrannei und Ungerechtigkeit, selbst wenn alle Revolutionen niedergeschlagen wurden und werden. Im Sinne von Herbert Marcuses Grabspruch: „Weitermachen!“

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Karl Denk
Ab Herbst übernimmt Norbert Gollinger die Intendanz der Raimundspiele Gutenstein

Stephanie Mohr hat eine stringente Inszenierung vorgelegt, Miriam Busch mit einigen Versatzstücken ein ansprechendes, nicht überladenes Bühnenbild beigesteuert, Wolfgang Schlögl einen spannenden Soundtrack geschrieben. Wenn Zäzilie ihr „Brüderlein fein“ zu kontrastierenden Beats hinausschreit, wird es auch ohrenfällig: Es geht weder bei Raimund noch bei Turrini um schlafmützige Behaglichkeit, sondern ums (soziale) Ganze. Das ins Bewusstsein gebracht zu haben, ist sicherlich ein Verdienst des Stücks.

Neuer Intendant

„Was geschieht, wenn Kunst und Wirklichkeit aufeinanderprallen?“ Diese Frage beschäftigt nicht nur Turrini, auch Yael Ronen hat diese Konfrontation etwa in „Community“ (2014) thematisiert, wenngleich auf andere Weise. Turrini hat die Raimundspiele mit „Es muss geschieden sein“ jedenfalls in einen weitläufigen Zusammenhang gestellt.

Wohin die Richtung weiter geht, bleibt offen: Als designierter Nachfolger für Intendant Johannes Krisch, der aus gesundheitlichen Gründen schon seine ursprünglich vorgesehene Hauptrolle als Holzapfel an Franzmeier abtreten hatte müssen, wurde Norbert Gollinger, ehemals Landesdirektor des ORF Niederösterreich, genannt – mehr dazu in Norbert Gollinger wird Intendant in Gutenstein (noe.ORF.at; 14.7.2023).