Erster Schultag
Pixabay/elkimellito
Pixabay/elkimellito
Gesundheit

Psychische Gesundheit: Wohnort entscheidend

Spätestens seit der Pandemie kursieren alarmierende Zahlen zur psychischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen. Laut Expertinnen und Experten ist der Bereich nach wie vor unterfinanziert. Auch der Wohnort entscheidet darüber, wie schnell man an Hilfe kommt.

„Wenn ein Kind nicht akut suizidgefährdet ist, ist es wahnsinnig schwer bis unmöglich, einen Platz auf einer Station für Kinder- und Jugendpsychiatrie zu bekommen. Zumindest haben wir diese Erfahrung in Niederösterreich gemacht“, schildert ein Betroffener gegenüber noe.ORF.at. „Obwohl meine Stieftochter nachgewiesenermaßen schwere psychische Probleme hatte und nach vorhandenen Diagnosen auch Medikamente nehmen musste, wurden wir abgewiesen, als sie sich selbst verletzt hat und sich beispielsweise kaum bekleidet in den Schnee gelegt hat.“

Dass es an stationären Betten mangelt, darauf wies kürzlich erst Paul Plener hin, Präsident der österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie (ÖGKJP) und Klinikvorstand an der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie an der Medizinischen Universität Wien. Im September warnte er davor, dass die Suizidalität bei Kindern und Jugendlichen seit 2018 um das Dreifache gestiegen sei.

„Weit entfernt von guter Versorgung“

Allgemein, so sein Befund, müsste die Versorgung deutlich verbessert werden – unter anderem auch im stationären Bereich. „Wir haben zu wenig stationäre Kapazitäten, was auch mit einem Fachkräftemangel ein Stück weit zu tun hat“, sagte Plener. Österreichweit sind von etwa 800 Betten, die auf der Kinder- und Jugendpsychiatrie laut österreichischem Strukturplan Gesundheit verfügbar sein sollten, nur 432 vorhanden, sagte der Mediziner. „Wir sind weit entfernt von einer guten Versorgung.“ Im Burgenland etwa gäbe es kein einziges kinder- und jugendpsychiatrisches Bett.

Suizidgefahr deutlich gestiegen

Eine aktuelle Studie zeigt, dass die Suizidgefahr in Österreich deutlich angestiegen ist. Eine neue Initiative will an dieser Stelle nun präventiv ansetzen und Kinder und Jugendliche erreichen, und zwar bevor es zu psychischen Erkrankungen kommt.

Große regionale Unterschiede

Auch abseits der stationären Behandlung müsste deutlich aufgestockt werden, ist Caroline Culen, Geschäftsführerin der Österreichischen Liga für Kinder- und Jugendgesundheit überzeugt. Anlässlich des Tages der psychischen Gesundheit legte sie Zahlen vor, die österreichweit eine Unterversorgung im psychosozialen Bereich, lückenhafte Versorgungsstrukturen und fehlende Kostenübernahme durch die Krankenkassen im niedergelassenen Bereich attestieren. Der Untersuchungszeitraum lag im Jahr 2020.

Allerdings spielt es bei der Behandlung von psychischen Problemen durchaus eine Rolle, wo ein Kind lebt. Sieht man sich etwa die mit der Krankenkasse abgerechneten Psychotherapiestunden an, so liegt Niederösterreich vergleichsweise gut. Im Bundesschnitt zahlten die Kassen 233,3 Stunden Psychotherapie pro 1.000 Kindern, am meisten davon in Niederösterreich mit 376 Stunden, am wenigsten in Salzburg mit 54 Stunden je 1.000 Kindern. Laut Auskunft der ÖGK erhielten im Jahr 2022 niederösterreichweit 3.087 Kinder und Jugendliche Psychotherapie auf Kassenkosten.

35 Prozent mehr Psychotherapie-Stunden gefordert

Aber selbst innerhalb der einzelnen Bundesländer zeigt sich ein sehr unterschiedliches Bild. Spitzenreiter in Niederösterreich war Krems mit 746,7 Stunden – das entspricht bis zu achtfach höheren Werten als in anderen Regionen des Bundeslandes, etwa im Bezirk Amstetten.

In den Augen der Kinderliga würden die Zahlen zeigen, „dass Kinder und Jugendliche nicht die gleichen Chancen auf psychosoziale Versorgung in Österreich haben. Hier muss im Sinne der Chancengerechtigkeit und Versorgungssicherheit von gesundheitspolitischer Seite rasch gehandelt werden“, so Culen. Im niedergelassenen Bereich braucht es der Expertin zufolge 35 Prozent mehr verrechenbare Stunden.

Ein kleines Mädchen wahrend des Unterrichts im Klassenzimmer einer Volksschule
APA/HARALD SCHNEIDER
Über Schulen könnte jedes Kind, das psychische Probleme hat, erreicht werden. Allerdings mangelt es an psychologischem Personal.

NEOS: Mangel auch bei Schulpsychologie

Ein niederschwelliges Angebot als erste Anlaufstelle sind Schulpsychologinnen und Schulpsychologen. Allerdings ist man auch hier noch weit entfernt von Angeboten, die annähernd flächendeckend sein könnten. Das rechnete zuletzt NEOS in Niederösterreich vor. Im Juni hatte Landessprecherin Indra Collini kritisiert, „dass ein Schulpsychologe auf 7.000 Schülerinnen und Schüler kommt“. Im Burgenland liege das Verhältnis etwa bei 1:3.800 – mehr dazu in „NEOS fordert Aufstockung bei Schulpsychologie“ (noe.ORF.at; 18.6.2022).

Laut Auskunft des Bildungsministeriums hat Niederösterreich derzeit 30,6 Vollzeit-Dienstposten für Schulpsychologinnen bzw. Schulpsychologen zur Verfügung. Hochgerechnet auf 206.694 Schülerinnen und Schüler (Quelle: Statistik Austria Schuljahr 2021/22) entspricht das im Schnitt mehr als 6.750 Kindern bzw. Jugendlichen je Stelle.

Kein Schwerpunkt in ÖVP-FPÖ-Arbeitsübereinkommen

Zuletzt aufgestockt wurde der Bereich der Schulpsychologie zuletzt vor knapp zwei Jahren – mit sechs zusätzliche Stellen, die das Land seinerzeit angekündigt hat – damals noch in der letzten Landesregierung – mehr dazu in „Jugendpsychologie wird ausgebaut“ (noe.ORF.at; 19.1.2022).

Im Arbeitsübereinkommen zwischen ÖVP und FPÖ in Niederösterreich findet sich kein Punkt, der explizit die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen berücksichtigt. Als letzter Punkt im Bildungsbereich wird der „weitere Ausbau der Schulsozialarbeit in Zusammenarbeit mit bestehenden Sozialeinrichtungen“ genannt. Hier kündigte die Landesregierung zuletzt im Mai an, gemeinsam mit dem Bund 470.000 Euro bereitzustellen – innerhalb der kommenden drei Jahre. Angesichts der aktuellen Unterversorgung sei das aus Sicht der NEOS aber ein „Tropfen auf den heißen Stein“.

Im Büro der zuständigen Landesrätin Christiane Teschl-Hofmeister (ÖVP) verwies man auf Anfrage von noe.ORF.at, ob – neben der Schulsozialarbeit – auch die Schulpsychologie weiter ausgebaut werden soll, auf die Zuständigkeit des Bundes. „Durch die Aufstockung der Schulpsychologinnen und Schulpsychologen hat der Bund in seinem Zuständigkeitsbereich einen wichtigen ersten Schritt gesetzt. Trotzdem ist für mich klar, dass jede weitere Ausweitung des Angebots absolut zu begrüßen ist“, so Bildungslandesrätin Teschl-Hofmeister. Eine Anfrage bei Bildungsminister Martin Polaschek (ÖVP), ob es diesbezügliche Ausbaupläne gibt, blieb bislang unbeantwortet.

Gefördert werden von der Landesregierung hingegen Kosten für privat finanzierte Psychotherapie über den Corona-Fonds, aber nur dann, wenn diese im Zusammenhang mit der Pandemie steht: „Die Maßnahme umfasst eine Förderung für Behandlungskosten von Psychiatern, Psychotherapeuten, Psychologen und Logopäden, sofern die psychischen und seelischen Störungen und Krankheiten im Zusammenhang mit COVID-19 stehen.“