Lars Müller-Marienburg
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„Interview am Samstag“

Lars Müller-Marienburg: Ein Superintendent steigt aus

Der Superintendent der Evangelischen Kirche in Niederösterreich, Lars Müller-Marienburg, legt nach sieben Jahren sein Amt nieder. Im Interview mit Claudia Schubert spricht er über sein Burnout, seine Bilanz als Superintendent und den Umgang mit Homosexualität.

Müller-Marienburg wurde 1977 in Ansbach (Deutschland) geboren und studierte Evangelische Theologie in München. Nach seinem Vikariat in Linz und seiner Pfarramtskandidatenzeit in Pöttelsdorf (Burgenland) wurde er 2010 Pfarrer der evangelischen Pfarrgemeinde Innsbruck-Auferstehungskirche. 2016 wurde er zum Superintendenten gewählt. Er folgte auf Paul Weiland, der 2015 plötzlich im Amt verstorben war.

Im Oktober gab er an, durch ein Burnout längere Zeit „außer Gefecht gesetzt“ gewesen zu sein. Die Erkrankung habe zu dem Entschluss geführt, sein Amt zurückzulegen. Der 46-Jährige kündigte an, den Dienst der Kirche zu verlassen und sich „beruflich umorientieren“ zu wollen. Zunächst wolle er sich eine Auszeit nehmen und reisen. Eine Rückkehr in den Kirchendienst schloss er nicht dezidiert aus.

Homosexualität: „Zorn und Unverständnis abbekommen“

Im Interview mit Claudia Schubert spricht er nicht nur offen über sein Burnout, sondern auch über den Umgang der Gesellschaft und Kirche mit seiner Homosexualität, aus der er nie ein Geheimnis gemacht hat. „In der Öffentlichkeit war es überhaupt kein Problem, in der Kirche war der Übergang in eine machtvolle Position für viele Leute schwer aushaltbar. Da habe ich einiges an Zorn und Unverständnis abbekommen“, so der 46-Jährige.

Abschiedsgottesdienst für Lars Müller-Marienburg

Lars Müller-Marienburg hat Anfang Oktober angekündigt, sich als evangelischer Superintendent von Niederösterreich zurückzuziehen. Jetzt hat er seinen letzten Gottesdienst im Amt gefeiert.

Zufrieden zeigt er sich damit, dass es gelungen sei, junge Pfarrerinnen und Pfarrer nach Niederösterreich zu holen und dass man in der Frage, ob gleichgeschlechtliche Paare heiraten dürfen, immerhin einen Kompromiss erreicht habe.

Herr Superintendent, Sie waren für zwölf Jahre gewählt und haben jetzt früher, nach sieben Jahren, aus persönlichen Gründen einen Schlussstrich gezogen. Sie haben offen über Ihr Burnout gesprochen. Wie schwierig war es, diesen Schritt zu gehen?

Lars Müller-Marienburg: Es war ein Prozess. Ich habe erst gemerkt, dass ich eine Unterbrechung brauche, als ich in Krankenstand gegangen bin. Dann sind noch sechs Monate vergangen, bis ich die Entscheidung so getroffen habe, wie ich sie jetzt getroffen habe.

Vor allem habe ich mir die Frage gestellt: Werde ich zurückkommen und in voller Kraft weitermachen können? Ich habe festgestellt, dass ich mir das nicht vorstellen kann. Vielleicht wäre es in einem, zwei Jahren gegangen, aber eine so große Organisation kann man auch nicht warten lassen und sagen, haltet mir den Platz frei. Ich bin jetzt diesen Schritt gegangen, der hoffentlich der richtige für mich ist, aber auch für die evangelische Kirche, damit jemand Nachfolger oder Nachfolgerin werden kann, die das mit voller Kraft und gerne macht.

Hat es für Sie so etwas wie einen Auslöser gegeben?

Müller-Marienburg: Es gab einen Punkt, zu dem aber viele Dinge hingeführt haben. Das, was im Lehrbuch über ein Burnout steht, habe ich alles so exerziert: weniger Zeit für mich, immer weniger auf mich geachtet, immer schneller verzweifelt, wenn etwas nicht funktioniert. Es hat mich immer mehr aufgeregt, wenn jemand anderes nicht so getan hat, wie ich mir das vorgestellt habe.

Dann sind auch körperliche Symptome dazugekommen. Schon zu Weihnachten – deutlich vor dem Krankenstand – habe ich die Gottesdienste nicht mehr machen können, weil ich stark verkühlt war. Das war direkt vor Ostern auch wieder. Dann habe ich gedacht, es macht mir nichts mehr Spaß, ich bin total schlecht drauf, ich habe verschiedene körperliche Symptome und jetzt kann ich nicht mal die schönen Ostergottesdienste machen.

Ich bin in den Krankenstand gegangen und total dankbar, dass das in einem Sozialstaat wie Österreich möglich ist, dass man aufgefangen wird und keine Angst um die Existenz haben muss. Das habe ich sehr zu schätzen gelernt.

Lars Müller-Marienburg und Claudia Schubert
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Lars Müller-Marienburg im Gespräch mit Claudia Schubert: „Ich habe gewusst, dass viele Dinge, die zum Berufsleben eines Pfarrers dazugehören, nicht mehr stattfinden werden. Aber ich habe nicht gewusst, wie sehr ich die vermissen würde.“

War die Aufgabe als Superintendent, in einer Führungsposition, anders als Sie sich das ursprünglich vorgestellt haben?

Müller-Marienburg: Oft im Leben kann man sich vorher nicht vorstellen, wie etwas sein wird. Nichts war anders, als ich es mir vorgestellt habe, aber es hat ein anderes Lebensgefühl in mir ausgelöst. Ich habe gewusst, ich werde viel in der Öffentlichkeit sein und ich werde mich innerhalb der Diözese um viele Probleme kümmern müssen, die nach außen hoffentlich ganz wenige Leute mitbekommen. Und ich habe gewusst, dass viele Dinge, die zum Berufsleben eines Pfarrers dazugehören, nicht mehr stattfinden werden. Aber ich habe nicht gewusst, wie sehr ich die vermissen würde.

Ich habe nicht gewusst, wie sehr mir der Religionsunterricht abgehen würde, wie sehr mir das als Sinnstiftung fehlt, mit Jugendlichen zu arbeiten. Vieles, was dann als Asset einer Führungsposition kommt, dass man geehrt wird und in der ersten Reihe sitzt, hat mir nicht denselben Sinn gestiftet, wie eine Religionsstunde mit vier Schülern. Das halte ich trotz allem für mich persönlich für sehr viel sinnvoller.

Wie schaut Ihre persönliche Bilanz aus? Was ist in dieser Zeit gelungen und was nicht?

Müller-Marienburg: Wir haben deutlich mehr Ruhe hineingebracht. Der letzte Übergang war sehr aufregend, weil mein Vorgänger Paul Weiland im Dienst verstorben ist und sehr lang im Dienst war. Ihm ist am Ende auch die Kraft ausgegangen und einige Dinge waren liegen geblieben. Das haben wir alles gut aufgearbeitet. Es ist sehr gut gelungen, dass in etlichen Pfarrgemeinden ganz junge Kolleginnen und Kollegen nach Niederösterreich gekommen und geblieben sind. Wenn ich in den Kreis der Pfarrerinnen und Pfarrer schaue, denke ich mir, das sind wirklich tolle Leute, die in den Pfarrgemeinden arbeiten. Das ist ein ganz großes Privileg.

Ich bin froh, dass wir gesamtkirchlich in der Frage der Hochzeit für gleichgeschlechtliche Paare zwar einen sehr hart errungenen Kompromiss, aber doch erreicht haben. Das ist nicht nur ein niederösterreichisches Thema, sondern gesamtösterreichisch. Ich bin froh, dass unsere Mitglieder jetzt eine Sicherheit haben, dass sie ihre gleichgeschlechtlichen Partner:innen in der Kirche heiraten dürfen.

Ansonsten bleibt die Frage, wie es uns als Organisation geht und wie es weitergeht, weil wir Jahr für Jahr erhebliche Prozente an Mitgliedern verlieren und das auch finanzielle Folgen hat. Wie werden dann noch genügend Pfarrer:innen da sein für die Zahl der Mitglieder, die total verstreut leben? Man kann nicht jede Stelle einsparen.

In Niederösterreich gibt es etwa 37.000 Mitglieder in der evangelischen Kirche, das ist eine kleine Gruppe. Man verliert aber fast noch mehr Mitglieder als die katholische Kirche. Woran liegt das?

Müller-Marienburg: Unser Hauptproblem ist, dass die allermeisten Leute keine Bindung mehr zur Kirche haben. Viele haben über Jahre und teilweise Jahrzehnte zwar keine Bindung gehabt, sind aber trotzdem noch Mitglieder geblieben. Das hat die Kirchen in einer Sicherheit gewiegt, die es gar nicht gibt. Das größere Wunder ist, dass wir immer noch so viele Menschen haben, die nichts in Anspruch nehmen, aber es trotzdem gut finden, dass es die Kirche gibt und deswegen Kirchenbeitrag zahlen. Da ändern sich die Zeiten. Immer weniger Leute sind bereit, irgendwo Mitglied zu sein, wo sie keinen Bezug haben.

Lars Müller-Marienburg
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Müller-Marienburg über die Zukunft der Evangelischen Kirche: „Unser Hauptproblem ist, dass die allermeisten Leute keine Bindung mehr zur Kirche haben“

Sie gehen sehr offen mit dem Burnout und auch mit Ihrer Homosexualität um. Wie war es für Sie in einer Führungsposition, wenn man sich offen zu Homosexualität bekennt?

Müller-Marienburg: In der Öffentlichkeit Niederösterreichs war es überhaupt kein Problem, was man einem konservativ geprägten Land gar nicht so sehr zutraut. Mit den Mitgliedern der Landesregierung usw. hatte ich ein völlig unproblematisches Auskommen.

In der Evangelischen Kirche war es interessant, weil wir eigentlich schon in den 90er-Jahren die Frage geklärt haben, ob es eine unterschiedliche Behandlung von heterosexuellen oder LGBT-Pfarrerinnen und -Pfarrern geben soll. Die Antwort war Nein. In meiner Zeit als Pfarrer gab es nie Anfragen, aber der Übergang in eine machtvolle Position war für viele Leute schwer aushaltbar. Da habe ich einiges an Zorn und Unverständnis abbekommen, womit ich bis zu einem gewissen Grad gerechnet habe. Aber nicht, dass es so stark werden wird.

Wie geht es bei Ihnen weiter?

Müller-Marienburg: Ich erfülle mir den Wunsch, dass ich jetzt auf eine längere Reise gehe. Ich werde am 10. Dezember mein Fahrrad einpacken, in Richtung Südostasien fliegen und dort viel mit dem Fahrrad fahren und das eine oder andere so anschauen. Danach werde ich sehen, wo es mich beruflich hin verschlägt.

Werden Sie für die Evangelische Kirche in irgendeiner Form weiter tätig sein?

Müller-Marienburg: Ich bin weiterhin sehr gerne evangelisch und würde mich auch gern weiter in der Evangelischen Kirche einbringen, aber lieber ehrenamtlich. Wenn ich irgendwo gebraucht werde – was in Zukunft mit einem gewissen Personalmangel wahrscheinlich der Fall sein wird – helfe ich in den Pfarren gern aus, bin aber noch am Schauen, was ich als Brotberuf machen kann.

Lars Müller-Marienburg, herzlichen Dank und alles Gute!

Müller-Marienburg: Dankeschön.