Karl Fritthum
ORF / Tobias Mayr
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Bildung

„Schüler bekommen vom Mangel nichts mit“

Niederösterreichs neuer Bildungsdirektor Karl Fritthum erklärt im Gespräch mit noe.ORF.at, warum so viele Pädagogen fehlen, wie sich der Lehrermangel in Niederösterreich auswirkt und ob das Distance Learning zurückkommt.

Seit 1. November ist Karl Fritthum neuer niederösterreichischer Bildungsdirektor. Der 42-jährige Jurist löst Johann Heuras ab, der das Amt seit 2015 innehatte und nun in den Ruhestand tritt. Fritthum ist bereits seit 2018 für die Bildungsdirektion tätig, zuletzt leitete er den Präsidialbereich und agierte als stellvertretender Bildungsdirektor.

noe.ORF.at: Ihr Vorgänger hat beständig vor dem Lehrermangel gewarnt. Im September hieß es, dass es keine Reserve mehr gäbe. Warum ist der Lehrberuf so unattraktiv?

Fritthum: Ich würde nicht sagen, dass der Lehrerinnen- und Lehrerberuf unattraktiv ist. Die Situation ist angespannt, das muss man auch so benennen. Wir haben aber in Niederösterreich unseren Versorgungsauftrag lückenlos erfüllen können und jede offene Stelle besetzt. Die Schülerinnen und Schüler bekommen vom Lehrerinnenmangel in Niederösterreich nichts mit. Aber es ist viel zu tun. Wir machen bei einer umfangreichen Kampagne des Bildungsministeriums, der Initiative „Klasse Job“, mit und stellen den Beruf so dar, wie er wirklich ist: als Erfüllung, als Berufung.

noe.ORF.at: In manchen Fächern scheint das nicht so gut zu funktionieren, in den MINT-Fächern zum Beispiel gibt es einen eklatanten Lehrermangel, in den Sprachen dafür einen Überschuss. Woran liegt das?

Fritthum: Das liegt daran, dass wir in der Vergangenheit etwas zu wenig gesteuert haben, welche Fächer und welche Kombination gewählt werden sollten. Wir werden in Zukunft angehende Lehramtsstudenten stärker informieren, welche Fächer benötigt werden.

noe.ORF.at: Aus der Opposition kommt die Forderung, Quereinsteiger in den Lehrberuf zu integrieren.

Fritthum: Wir stehen diesem Vorschlag sehr positiv gegenüber. Es gibt bereits eine maßgeschneiderte Ausbildung für Quereinsteiger. Dort wird die Vorausbildung berücksichtigt, um es etwa für Menschen aus der Privatwirtschaft, die sich verändern möchten, attraktiv zu machen.

noe.ORF.at: Welche Berufsgruppen wünschen Sie sich?

Fritthum: Technikerinnen und Techniker sind natürlich immer gefragt, aber zum Beispiel auch Personen mit wirtschaftlichem Hintergrund. Wir wissen, dass Financial Education immer wichtiger wird, und da können solche Personen natürlich einen absoluten Mehrwert in unseren pädagogischen Alltag bringen.

noe.ORF.at: Ihr Vorgänger hat die Form der Lehrerausbildung kritisiert. Was müsste man aus Ihrer Sicht verändern?

Fritthum: Notwendig ist sicher eine Flexibilisierung der Lehrerinnen- und Lehrerausbildung, nicht so ein starres System. Es sollte Möglichkeiten geben, dass man schneller studieren kann. Aber auch die sogenannten Slow-Track-Modelle braucht es, die einen nicht bestrafen, wenn man länger braucht.

Karl Fritthum
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Der neue Bildungsdirektor setzt beim Lehrermangel auf eine flexiblere Ausbildung und Quereinsteiger

noe.ORF.at: Rund die Hälfte der Lehrerinnen und Lehrer sind nebenbei in Ausbildung. Viele klagen, dass Studium und Unterricht nicht kompatibel seien.

Fritthum: Es braucht eine größere Flexibilisierung des Studienplans beziehungsweise eine gute Zusammenarbeit der Bildungsdirektion mit den Pädagogischen Hochschulen. Hier sind wir in Niederösterreich bereits federführend. Es wurden schon Verbesserungen bei der Abstimmung von Stundenplan und Berufszeiten gesetzt.

noe.ORF.at: Heißt das, dass die Probleme in der Lehrerausbildung quasi noch Kinderkrankheiten sind?

Fritthum: Ich würde es nicht als Kinderkrankheiten bezeichnen, weil es schon systemische Fragen sind, aber man kann sie lösen. Das ganze Konglomerat an Maßnahmen wird uns wieder nach vorne bringen im Kampf um die besten Köpfe, die wir hier in der Klasse stehen haben wollen.

noe.ORF.at: Die Pandemie hat die vergangenen zwei Jahre den Schulalltag bestimmt. Ist Distance Learning auch heuer wieder denkbar, wenn die Infektionszahlen steigen?

Fritthum: Dies ist nach wie vor eine Option. Wir versuchen aber, das möglichst hintanzuhalten. Oberste Prämisse ist der Präsenzunterricht.

noe.ORF.at: Unberechenbar ist außerdem der Krieg in der Ukraine. Wie sind die Schulen auf weitere Vertriebene vorbereitet?

Fritthum: Die Schulen sind darauf sehr gut vorbereitet. Wir haben derzeit rund 3.000 ukrainische Schülerinnen und Schüler sehr gut untergebracht. Wir müssen natürlich psychologische Unterstützung anbieten – sie sind vielfach traumatisiert –, aber wir versuchen, ihnen einen möglichst normalen Alltag zu gewährleisten.

noe.ORF.at: Auf der einen Seite haben wir einen Lehrermangel, auf der anderen Seite sagen Sie, die Schulen sind gut vorbereitet. Wie geht das zusammen?

Fritthum: Ich würde die beiden Dinge nicht miteinander verbinden. Wie gesagt, wir haben in Niederösterreich alle Stellen gut besetzen können. Wir haben auch 40 ukrainische Pädagoginnen und Pädagogen aufgenommen. Wir haben außerdem eine gut aufgestellte Schulpsychologie.

noe.ORF.at: Sie sind, anders als Ihr Vorgänger, von Berufs wegen kein Lehrer. Was qualifiziert Sie als Bildungsdirektor?

Fritthum: Ich kenne das Haus sehr gut, das hilft mir auch jetzt in den Krisen. Ich brauche mich also hier nicht mehr vorzustellen. Zum anderen hat es mit meinem Rollenverständnis zu tun. Ich sehe den Bildungsdirektor nicht als Oberpädagogen, der in das Klassenzimmer hineinregieren möchte. Das wissen unsere Pädagoginnen und Pädagogen selbst am besten, wie sie unterrichten müssen. Ich bin dafür da, die nötigen Rahmenbedingungen zu gewährleisten.