Chronik

Getöteter Rekrut: Anwalt fordert Aufklärung

Im Fall des getöteten 20-jährigen Rekruten in der Wr. Neustädter Flugfeldkaserne schildert ein Zeuge nun eine neue Version des Vorfalls. Der Anwalt der Familie sieht erhebliche Abweichungen zur Version des Bundesheeres und fordert restlose Aufklärung.

Es gebe nur zwei Personen, die tatsächlich Auskunft darüber geben können, was passiert sei, sagte Thomas Kralik am Mittwoch im Interview mit dem ORF Niederösterreich – der Unteroffizier und ein Wachkamerad des getöteten 20-Jährigen. Kralik ist erst seit wenigen Tagen von der Familie beauftragt worden, zu klären, was an jenem Morgen des 6. Jänner kurz vor der Wachablöse in der Flugfeldkaserne wirklich passiert ist.

Das Bundesheer hatte bereits wenige Stunden nach dem Vorfall seine Version des Vorfalls veröffentlicht und diese nach 48 Stunden in einem „Erstbericht“ der bundesheerinternen Untersuchungskommission bestätigt. Demnach habe der 20-jährige Wachsoldat D. seine Kameraden vor der Wachablöse bedroht und den Vorgesetzten attackiert. D. soll schließlich mit der Waffe auf den Kopf des am Boden liegenden 54-Jährigen gezielt haben. Daraufhin habe ihn der Unteroffizier mit seiner Pistole erschossen – mehr dazu in Toter Soldat: Bundesheer-Erstbericht fertig (noe.ORF.at; 8.1.2023).

Wachkamerad schildert völlig anderen Ablauf

In der Tageszeitung „Die Presse“ wurden nun aber Aussagen aus dem Vernehmungsprotokoll des zweiten Wachsoldaten publik, die auch dem ORF Niederösterreich vorliegen. Der Augenzeuge, der die Situation durch die kugelsichere Glastür von außen beobachten haben will, berichtet von einem Gerangel am Boden zwischen D. und dem Vorgesetzten, bei dem der Wachsoldat zwar mehrere Schüsse aus dem Sturmgewehr abgegeben haben, aber zunächst entwaffnet werden konnte. „Die Waffe fiel zu Boden und rutschte ca. einen Meter entfernt in die Ecke des kleinen Raumes. Sie rangelten auf dem Boden liegend ohne Waffe weiter miteinander“, heißt es in dem Protokoll.

„Wenn man die beiden Versionen vergleicht, ergeben sich erhebliche Abweichungen in den Aussagen“, sagte Rechtsanwalt Thomas Kralik. „Der Schütze (der Unteroffizier; Anm.) hat angegeben, dass er einmal geschossen hat. Zeugen haben aber drei Schüsse gehört und es wurden drei leere Patronenhülsen gefunden. Man weiß aber nicht, wo die anderen Schüsse hingegangen sind. Es wurde angegeben, dass sich aus dem Sturmgewehr ein Schuss gelöst oder abgegeben wurde. Es hat sich aber herausgestellt, das stimmt nicht“, so Kralik.

Den Schilderungen des zweiten Wachsoldaten zufolge soll der 54-jährige Unteroffizier bei dem Gerangel schließlich zum Teil mit dem Rücken auf dem Wachsoldaten gelegen sein. Dem 20-Jährigen soll es dabei gelungen sein, seinem Vorgesetzten die Pistole aus dem Oberschenkelholster zu entwenden. „Ich sah dann nicht mehr, was mit der Waffe war, jedoch konnte ich plötzlich einen Schuss wahrnehmen und D. (der Wachsoldat; Anm.) rührte sich nicht mehr. Ich kann nicht sagen, wer die Waffe abgefeuert hat. Ich hatte jedoch den Eindruck, dass D. selber den Abzug betätigt hat“, so der Wachkamerad laut Einvernahmeprotokoll.

Zeuge: „Durch Substanzen beeinträchtigt“

Der Kollege des Getöteten hielt ebenso fest, dass er meine, „dass D. heute Morgen und mit ziemlicher Sicherheit schon seit gestern Morgen durch irgendwelche Substanzen beeinträchtigt war“. Er sei in keinem der früheren Dienste jemals in so einem Zustand gewesen oder hätte ein solches Verhalten an den Tag gelegt.

Der Anwalt der Familie verweist auf toxikologische Gutachten, die von der Staatsanwaltschaft eingeholt werden, hält aber gleichzeitig fest: „Es widerspricht nur dem, was die Eltern über ihren Sohn gesagt haben und es widerspricht doch seinem letzten WhatsApp, das er wenige Minuten vor der Tat an seine Schwester geschickt hat, in der er sich völlig klar ausgedrückt hat und in keinster Weise irgendwie beeinträchtigt war“, so Kralik.

Der Mutter, dem Vater und dem Stiefvater des Getöteten gehe es fast zwei Wochen nach dem Vorfall weiterhin „nicht gut“. Sie möchten, dass der Sachverhalt „restlos und vollständig“ aufgeklärt werde, sagte Kralik. Die Familie könne sich den Vorfall weiterhin nicht erklären – mehr dazu in Toter Soldat: „Ist Streit aus dem Weg gegangen“ (noe.ORF.at; 9.1.2023).

Bundesheer äußert sich nicht zu neuen Schilderungen

Das Bundesheer wollte auf Anfrage des ORF Niederösterreich am Mittwoch keine Stellungnahme zu den Schilderungen des Augenzeugen abgeben. Sprecher Michael Bauer verwies an die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt. Dort hieß es einmal mehr, dass die Ermittlungen laufen würden. Es seien noch einige Gutachten ausständig, sagte Mediensprecher Erich Habitzl. Er rechnet mit einem Abschluss der Ermittlungen erst in „einigen Wochen“.