Landtagssaal in St. Pölten
APA/Helmut Fohringer
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Jahresrückblick

2023: Ein Jahr der politischen Zeitenwende

Das Jahr 2023 hat mit der Landtagswahl Ende Jänner die politischen Karten in Niederösterreich neu gemischt. Die ÖVP holt das historisch schlechteste Ergebnis und bildet mit der FPÖ eine De-facto-Koalition. Begleitet wird die Arbeit von Schwarz-Blau von harter Kritik.

Die Bilder in der Parteizentrale der ÖVP in St. Pölten sagen am 29. Jänner mehr als tausend Worte. Die Volkspartei büßt massiv an Stimmen ein und verliert die absolute Mehrheit. Viel Jubel und Freudentränen sieht man an diesem Abend hingegen bei der FPÖ. Die Blauen sind mit ihrem Parteivorsitzenden Udo Landbauer plötzlich die politisch zweitstärkste Kraft im Land.

Ein Wahldebakel ist es hingegen für die SPÖ. Die Sozialdemokraten fahren wie die ÖVP das historisch schlechteste Ergebnis ein. Erleichterte Blicke und Freudenschreie sieht und hört man bei den Grünen. Die Oppositionspartei gewinnt ein viertes Mandat dazu und somit den Klubstatus wieder zurück. Das Wahlziel – den Klubstatus – erreichen die NEOS nicht, trotzdem freut man sich über den Stimmenzuwachs und zeigt sich in Feierlaune – mehr dazu in Der Wahltag zum Nachlesen (noe.ORF.at, 29.1.2023).

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ABD0229_20230129 – ST. P…LTEN – …STERREICH: Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (…VP) am Sonntag, 29. JŠnner 2023, anl. einer Fernsehdiskussion der Spitzenkandidaten im Rahmen der niederšsterreichischen Landtagswahl in St. Pšlten. – FOTO: APA/ROLAND SCHLAGER
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Für Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) ein wortwörtlich schwarzer Tag…
ABD0192_20230129 – ST. P…LTEN – …STERREICH: FP…-Bundesparteichef Herbert Kickl (l.) und Spitzenkandidat Udo Landbauer am Sonntag, 29. JŠnner 2023, anl. der ersten Hochrechnung im Rahmen der niederšsterreichischen Landtagswahl in St. Pšlten. – FOTO: APA/HELMUT FOHRINGER
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FPÖ-Bundesparteichef Herbert Kickl freut sich mit Landesparteichef Udo Landbauer
ABD0276_20230129 – ST. P…LTEN – …STERREICH: SP…-Spitzenkandidat Franz Schnabl am Sonntag, 29. JŠnner 2023, anl. einer Fernsehdiskussion der Spitzenkandidaten im Rahmen der niederšsterreichischen Landtagswahl in St. Pšlten. – FOTO: APA/HELMUT FOHRINGER
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Die SPÖ in Niederösterreich fährt mit ihrem Spitzenkandidaten Franz Schnabl das historisch schlechteste Ergebnis ein
Krismer bei Wahlparty
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Helga Krismer (Grüne) gewinnen dazu und damit das vierte Mandat
NEOS-Spitzenkandidatin Indra Collini bei NEOS-Wahlfeier
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NEOS-Landessprecherin Indra Collini ist mit Wiens Vizebürgermeister Christoph Wiederkehr in Feierlaune

ÖVP-SPÖ: Gescheiterte Gespräche

Nach einem kurzen und intensiven Wahlkampf folgt nach der Wahl die erste Konsequenz. Die SPÖ Niederösterreich verabschiedet sich von ihrem Parteivorsitzenden Franz Schnabl. Neu an der Spitze steht der ehemalige AMS-Niederösterreich-Chef Sven Hergovich. Mit Hergovich beginnen Anfang Februar die Koalitionsverhandlungen, denn die ÖVP verliert nach der Wahl erstmals die Mehrheit der Sitze in der Landesregierung und braucht daher einen Partner – mehr dazu in ÖVP und SPÖ starten vertiefende Gespräche (noe.ORF.at, 14.2.2023).

Die Verhandlungen zwischen ÖVP und SPÖ ziehen sich über eineinhalb Monate. Die Sozialdemokraten stellen sechs Bedingungen für die Zusammenarbeit – etwa eine kostenlose Ganztagsbetreuung im Kindergarten oder einen Heizpreisstopp – mehr dazu in SPÖ stellt ÖVP Bedingungen für Zusammenarbeit (noe.ORF.at, 6.3.2023). Die Stimmung scheint zunächst optimistisch, im Laufe der Wochen wird sie immer angespannter. Die ÖVP kritisiert die Forderungen der SPÖ als standortschädlich.

Hergovich, Mikl-Leitner
ORF
Die Verhandlungen zwischen ÖVP und SPÖ ziehen sich über eineinhalb Monate

Nachdem Hergovich in einem Interview mit der deutschen Wochenzeitung „Die Zeit“ sagt, er hacke sich lieber die Hand ab, als auf seine Forderungen zu verzichten, drückt die ÖVP bei den Verhandlungen auf die Stopptaste und die politischen Karten werden neu gemischt – ÖVP stoppt Verhandlungen mit SPÖ, Gespräche mit FPÖ beginnen (noe.ORF.at, 9.3.2023). Als zweiter Gesprächspartner wird die FPÖ geladen.

ÖVP-FPÖ Arbeitsübereinkommen

Die Verhandlungen zwischen der ÖVP und der FPÖ sind nur von kurzer Dauer. Bereits Mitte März präsentiert man gemeinsam ein Arbeitsübereinkommen. Mikl-Leitner spricht von keiner Liebesbeziehung aber einer tragfähigen Arbeitsbeziehung zwischen ihr und Udo Landbauer – mehr dazu in ÖVP und FPÖ: Details zu Regierungspakt (noe.ORF.at, 9.3.2023).

Arbeitsübereinkommen
ORF
Auf 36 Seiten fixieren ÖVP und FPÖ ihre Zusammenarbeit

Mikl-Leitner mit dünner Mehrheit gewählt

Kurz nach der Ankündigung des Übereinkommens folgt der Protest. Nicht nur auf der Straße wird demonstriert, Kritik folgt auch von Kulturschaffenden und Teilen der jüdischen Community. Als Landeshauptfrau wird Mikl-Leitner bei der konstituierenden Landtagsitzung am 23. März mit dünner Mehrheit angelobt – mit nur 24 von 41 gültig abgegebenen Stimmen. Die FPÖ wählt ungültig, um ihr die Mehrheit zu sichern. Udo Landbauer wird Landeshauptfrau-Stellvertreter – mehr dazu in Mikl-Leitner mit 24 Stimmen gewählt (noe.ORF.at, 23.3.3023).

Sitzungssaal bei konstituierender Landtagssitzung
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Indem 15 ungültige Stimmen abgegeben wurden, reichten 24 Stimmen, um Mikl-Leitner zur Landeshauptfrau zu machen

ÖVP-FPÖ: Arbeit unter Kritik

Einige Projekte aus dem Arbeitsübereinkommen wie etwa der Gender-Erlass oder die Wirtshausprämie sorgen für Kritik. Am Herzen liegt der FPÖ besonders der 31 Millionen Euro schwere Corona-Fonds, der etwa Ausgleichszahlungen für Impfgeschädigte vorsieht. Es ist eines der umstrittensten Vorhaben der ÖVP-FPÖ-Landesregierung. Ende Mai wird der Fonds im Landtag beschlossen – SPÖ, Grüne und NEOS stimmen dagegen – mehr dazu in Umstrittener Coronafonds wird beschlossen (noe.ORF.at, 24.5.2023).

Im April wird von Schwarz-Blau der niederösterreichische Wohn- und Heizkostenzuschuss beschlossen. Dafür sollen laut Angaben 85 Millionen Euro vom Bund zur Verfügung stehen. Die erste Person im Haushalt bekommt 150 Euro als Einmalzahlung, für jede weitere gibt es 50 Euro zusätzlich. Keinen Zuschuss erhalten Asylwerber und Inhaftierte – mehr dazu in Schwarz-Blau präsentiert neuen Zuschuss (noe.ORF.at, 11.4.2023).

Präsentation des Zuschusses
ORF
Soziallandesrätin Christiane Teschl-Hofmeister, Landeshauptfrau Mikl-Leitner und LH-Stellvertreter Landbauer (v.l.) bei der Präsentation

Parteispitzen bei ORF NÖ-Sommergesprächen

Viel Kritik wird von SPÖ, Grüne und NEOS auch bei den politischen Sommergesprächen in der Musikschule in St. Pölten geäußert. Ein Topthema des Jahres – die Teuerung – werde etwa von der Landesregierung nicht ernst genug genommen, es würden die Maßnahmen dagegen fehlen, sagt der selbsternannte Kontrolllandesrat Sven Hergovich (SPÖ).

Grünen-Chefin Helga Krismer fordert etwa ein Tempolimit von 100 km/h für fossile Verbrenner und wirft der Landesregierung Untätigkeit bei der Klimapolitik vor. Zudem zeigt Krismer Verständnis für Klimaaktivistinnen und Klimaaktivisten, auch wenn sie nicht jede Aktion gutheiße.

NEOS-Landessprecherin Indra Collini übt beim Sommergespräch scharfe Kritik an der EVN-Preispolitik. Es gebe bei dem Landesenergieversorger einen Aufsichtsrat, der durchaus politisch besetzt sei. Und ein Aufsichtsrat könne Einfluss nehmen auf die Preisgestaltung, so Collini.

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Sommergespräche 2023 mit Johanna Mikl-Leitner und Beni Fuchs
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Sommergespräche 2023 Udo Landbauer und Claudia Schubert
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Sommergespräche 2023 mit Sven Hergovich und Beni Fuchs
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Sommergespräche 2023 mit Helga Krismer und Beni Fuchs
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Sommergespräche 2023 Claudia Schubert Indra Collini
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Landeshauptfrau und ÖVP-Landesparteiobfrau Johanna Mikl-Leitner kritisiert sowohl die Preispolitik der EVN als auch – wie sie sagt – die „intransparenten Tarife“. Zudem kündigt Mikl-Leitner ein großes Bodenschutzprogramm an, das in den vergangenen Jahren ausgearbeitet worden sei. In allen 20 Bezirken seien regionale Raumordnungspläne erstellt worden.

FPÖ-Landesparteiobmann und LH-Stv. Udo Landbauer nimmt im Sommergespräch zur Erhöhung der Politikergehälter erstmals Stellung. Landbauer spricht sich darin für ein Einfrieren der Spitzensätze aus, die kommunale Ebene sei davon ausgenommen.

Causa Riedl: Umstrittene Grundstücksdeals

Im Sommer sorgt Alfred Riedl, Gemeindebundpräsident und Bürgermeister von Grafenwörth (Bezirk Tulln) für Schlagzeilen. Riedl soll sich in seiner Gemeinde mit zahlreichen umstrittenen Grundstücksdeals bereichert haben, allen voran mit dem Bauprojekt Sonnenweiher. Riedl bestreitet die Vorwürfe – mehr dazu in Häuser am Foliensee: Aufregung in Grafenwörth (noe.ORF.at, 5.7.2023).

Das Projekt „Sonnenweiher“, das in Medien als „Mini-Dubai des Weinviertels“ bezeichnet wurde, umfasst mehr als 200 Häuser um einen Foliensee. Riedl soll laut Berichten mit dem Verkauf von Grundstücken mehr als eine Million Euro verdient haben, Ende Juli werden weitere Geschäfte bekannt – Riedl: Neue Grundstücksdeals veröffentlicht (noe.ORF.at; 27.7.2023).

Die Seehäuser am Sonnenweiher
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Riedl soll unter anderem mit dem Verkauf von Grundstücken für das Projekt „Sonnenweiher“ Geld verdient haben. Das Vorhaben soll durch Umwidmungen und die Verschiebung von Siedlungsgrenzen ermöglicht worden sein.

Nach steigendem Druck stellt Riedl Ende Juli sein Amt als Gemeindebundpräsident ruhend und nominiert eine Doppelspitze, zurücktreten möchte er trotz Aufforderungen von SPÖ, Grüne und NEOS aber nicht. Im Spätherbst führt der Gemeindebund eine Statutenreform durch, die eine Abwahl von Riedl ermöglicht. Nachfolger dürfte der niederösterreichische Gemeindebund-Präsident Johannes Pressl (ÖVP) werden – mehr dazu in Gemeindebund ermöglicht Riedl-Abwahl (noe.ORF.at, 1.12.2023).

Streit über Umbau von Landtagssitzungssaal

Mitte Dezember bricht über den geplanten Umbau des Landtagssitzungssaales in Niederösterreich ein politischer Streit aus. ÖVP, FPÖ und Grüne sprechen sich für das 11,2 Mio. Euro teure Vorhaben aus, SPÖ und NEOS befürworten den Umbau nur eingeschränkt. Im Vordergrund des Umbaus steht die Barrierefreiheit des 1997 eröffneten Sitzungssaals, angedacht ist zudem eine technische und thermische Sanierung.

Besiegelt ist das Vorhaben noch nicht, ein Allparteienantrag wird verhandelt. Ein Beginn der Umbauten ist frühestens 2026 möglich – mehr dazu in Streit über Umbau von Landtagssitzungssaal (noe.ORF.at, 19.12.2023).